Im Herzen des Kometen
gern trug, gerissenen Faden. Der Spalt führte Saul durch eine kleine Eishöhle mit kristallinen Bildungen, die bisher nicht kartographiert war, und nun durch die jüngsten Erschütterungen im alten Eis in all ihrer Pracht zugänglich geworden war.
Er eilte weiter. Der Spalt verengte sich wieder, bis er sich nur noch seitwärts darin fortbewegen konnte. Seine Phantasie konnte nicht umhin, den Durchgang mit einem Geburtskanal zu vergleichen. Etwas darin – vielleicht eine neue Lebensform, mit der sein Immunsystem noch nicht zurechtgekommen war – verursachte ein brennendes, juckendes Gefühl in seiner Nase und Stirnhöhle. Das wohlbekannte Prickeln stellte sich ein.
Ah nein…, dachte er und schloß die Augen.
Im nächsten Augenblick kam die erleichternde Explosion.
Das Echo seines Niesens hallte unmittelbar voraus in einem Höhlenraum wider. Er schüttelte den Kopf, öffnete blinzelnd die Augen, und hörte, als er sich eben weiterbewegen wollte, das unverwechselbare Geräusch eines weinenden Kindes.
Er zwängte sich mit hochgehaltenem Leuchtball durch eine Engstelle und kam in den offenen Raum. Schrille Schreie beantworteten sein Erscheinen.
»Der strenge alte Mann! Der strenge alte Mann!«
»Still, Kinder! Seid ruhig!« sagte eine tiefere Stimme. »Seht ihr nicht? Seine Haut ist weiß, nicht grün. Und ihr wißt, daß der strenge alte Mann schwarz und grün ist.«
Das ängstliche Gewimmer verstummte, und Saul kam hinaus in einen der bewachsenen Stollen der Kolonie. Er fing seine Vorwärtsbewegung an der gegenüberliegenden Wand ab und wandte sich den Gestalten zu, die sein unerwartetes Auftauchen bestaunten.
Ein älterer Mann – ein Ortho namens Hans Pestle, wie Saul sich erinnerte, hielt zwei magere, in zerlumptes Fibergewebe gekleidete Kinder bei den Händen. Vier weitere kleine Gestalten, eine abgezehrter als die andere, hielten sich in seiner Nähe an den Wänden fest.
»Nun, was gibt es, Pestle?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nichts, Dr. Lintz. Ich dachte eben… nein, es muß ein Irrtum gewesen sein.«
Zwei von den größeren Kindern schoben sich näher. »Haben Sie Erdnüsse für uns?« fragte ein dunkelhäutiger Junge schüchtern.
»Leider nicht, Achmed.« Saul lächelte und strich dem kleinen Jungen über das spärliche Haar, achtete aber darauf, daß er mit seiner Hand nicht dem langen, wieselartigen Tier zu nahe kam, das der Junge wie einen Schal um die Schultern gelegt hatte. Das Tier blieb in seiner Ruhestellung, beobachtete Saul aber mit wachsam glänzenden Augen.
»Leider, tut mir leid.« Gewöhnlich bekamen die Kinder zur Medizin eine kleine Süßigkeit oder ein paar Erdnüsse aus den Pflanzungen; saure Bonbons aus verarbeiteten Zitronenblättern und Zucker waren eine seiner begehrtesten Spezialitäten. »Aber ich verspreche dir, wenn du wieder zu mir kommst…«
Das Kind überwand die kleine Enttäuschung gut. Früher war es Saul öfters durch seine Wutanfälle aufgefallen, die es in unkontrollierbare Schreikrämpfe getrieben hatten.
Achmed hatte tatsächlich gute Fortschritte gemacht. Er sprach mehr als früher und hatte zugenommen. Trotzdem, wenn man ihn mit seinen fünfunddreißig Kilo Körpergewicht und weniger als hundertfünfzig Zentimeter Größe sah, würde man nicht glauben, daß er sechzehn Jahre alt war.
Unglücklicherweise waren die Möglichkeiten zur Behebung so fortgeschrittener Schäden sehr begrenzt. Und die besten Behandlungsmethoden waren nur auf einen schmalen Bereich von genetischen Typen anwendbar. Es war sehr frustrierend.
Mit einem Kopfschütteln suchte er das Klingen in den Ohren zu vertreiben, das durch eine Allergiereaktion auf Symbiose hervorgerufen wurde. Er nieste, und die Kinder klatschten in die Hände und lachten über das dröhnende Echo im Stollen.
Saul sah sich um und orientierte sich durch die eingeschnittenen Markierungen an einer nahen Kreuzung. Sie waren tief unten, weit unter dem Stammesterritorium dieser Orthos.
»Was machen Sie hier unten mit den Kindern, Pestle?«
Pestle schaute auf den Boden. »Wir gehen bloß spazieren… Sie sagten, die Kinder sollten mehr Bewegung bekommen…«
Offensichtlich verbarg er etwas. Aber Saul hatte keine Zeit, der Sache auf den Grund zu gehen.
»Haben Sie sonst jemanden hier vorbeikommen sehen?« fragte er den alten Mann, der einst ein berühmter Astrophysiker gewesen, nun aber durch Alter und Gebrechlichkeit zum Betreuer behinderter Kinder geworden war, während die Jungen und Gesunden an der
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