Im Herzen des Kometen
die Gelegenheit genutzt, hier unten nach dem Rechten zu sehen und die laufenden Experimente zu kontrollieren.
Überall im Laboratorium standen aufgereihte Glasbehälter wie Aquarien, in denen winzige Ökosysteme gediehen oder dahinkümmerten, wo modifizierte Lebensformen von der Erde sich abmühten, in der neuen, synthetischen Kometenökologie Fuß zu fassen, die sich allmählich aus den verschiedenen Faktoren herauszubilden begann.
Drüben auf der linken Seite versorgte einer seiner Assistenten die Tiere – Vögel ohne Federn, und Ziegen, von deren Milch er sich bessere Ernährung der Kinder versprach.
»Wo ist Paul?« fragte er plötzlich.
Die braunhaarigen Zwillinge deuteten mit einem Kopfnicken zum Riß in der Wand.
»Was? Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt ihn nicht hinauslassen?«
Sie verdrehten die Augen in einem Ausdruck nach oben, den er in vielen gespiegelten Jahren ungezählte Male gesehen hatte. »Du sagtest uns, wir sollten ihn nicht zur Tür hinauslassen«, erinnerten sie ihn.
Saul ließ die Schultern hängen. »Großer Gott.« War er jemals wie diese beiden gewesen? So unerträglich… unreif?
Sie kicherten miteinander. Saul zögerte. Es blieb ihm nichts übrig, als Paul nachzugehen. Das arme Kind würde sich allein dort draußen nicht zurechtfinden.
Die Idee, seine Assistenten hinterher zu schicken, mußte er verwerfen. Wenn der Riß tiefer hineinführte und einen Stollen des Wegesystems kreuzte, bestünde die Gefahr, daß sie dort Leuten begegneten, und das konnte ungeahnte Folgen haben. Er hatte sie noch niemandem gezeigt, nicht einmal Virginia. Sie waren die verblüffendste Entwicklung, die aus der Kombination des Phobos-Datenmaterials und seiner eigenen wachsenden Geschicklichkeit in den Techniken der Klonsymbiose hervorgegangen war, doch hatte er noch immer seine Zweifel, ob und wie er den Rest der Kolonie mit ihnen bekannt machen sollte.
Er nahm einen stark phosphoreszierenden Leuchtball aus gentechnisch geschneidertem Halleyviridis an sich und bewegte sich zur Wandöffnung. »Wenn ich zurückkomme, werden wir über Verantwortung sprechen«, ermahnte er die beiden. »Paul ist euer Bruder, auch wenn er in mancherlei Hinsicht unzulänglich ist. Es war eure Pflicht, auf ihn achtzugeben.«
Beschämt schlugen sie die Blicke nieder. Sie waren keine schlechten Jungen, nur unerfahren und sehr neu in der Welt.
Zwei schwarze Fellbündel sprangen Saul an und kletterten ihm über die Schultern. Behutsam nahm er sie herunter und setzte sie nieder.
»Nicht jetzt, Max, Silvie! Ich komme gleich wieder. Bleibt bei den Jungen!« Sie blickten ihm mit großen Augen nach, als er sich umwandte und allein in der dunklen Spalte verschwand.
Wahrscheinlich bestand für Paul keine Gefahr. Er war gegen die Toxine der roten Würmer immun, und da dieser Spalt sich in dem Laboratoriumsraum öffnete, ohne daß dort eine Störung der Luftventilation eingetreten war, mußten alle mit dem Riß in Verbindung stehenden Hohlräume Luft enthalten.
Vor allem kam es Saul darauf an, den Jungen einzufangen, bevor er anderen Leuten über den Weg laufen konnte.
Früher oder später würde er freilich enthüllen müssen, was er tat. Dabei hoffte er allgemeinem Unmut durch die Bekanntmachung zuvorkommen zu können, daß er endlich Lösungen für manche Probleme des Wachstums und der Entwicklung gefunden habe, welche die Kinderaufzucht in der Kolonie nahezu unmöglich gemacht hatten.
Die Ergebnisse seiner Forschungen ließen sich möglicherweise sogar hilfreich auf die ungefähr dreißig Kinder anwenden, die von den Orthos und einigen Percellen bereits in die Welt gesetzt worden waren. Während des abgelaufenen Jahres hatte er eine seiner Hauptaufgaben darin gesehen, das Los dieser armen, verkümmerten Geschöpfe zu verbessern.
Ein weiterer Grund für seine Heimlichkeit war, daß er mit der Vorstellung seiner ›Kinder‹ hatte warten wollen, bis eine entspannte Arbeitssituation die Rückkehr zahlreicher Expeditionsmitglieder in die Kühlfächer ermöglichen würde. Vor weniger Leuten mochte es leichter sein, seine Sache zu vertreten.
Im matten Lichtschein des Leuchtballs schimmerte die Eisspalte wie ein funkelndes Wunderland aus gezackten Kristallen und eingelagerten Adern stumpffarbenen Clathratschnees. Es war leicht, dem Weg des Jungen zu folgen, da der Spalt sich bald verbreiterte. Die Fußspuren des Jungen waren als verfärbte Flecken zu sehen, und einmal fand Saul einen aus dem alten Laborkittel, den der Junge
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