Im Herzen Des Lichts
hielten sie von hinten, und die ganze Welt schwankte schwindelerregend, als alles Vertraute in Entsetzen und Chaos versank.
Ein Gesicht schwamm vor ihren Augen: halb war es das ihrer Mutter und halb das eines grimmigen, mordlüsternen Riesen - und dieser andere Teil, der Teil, der nicht ihre Mutter war, gewann die Oberhand. Und überall war Blut, als die letzte Festung, die Shupansea treu ergeben war, unter dem Ansturm des Feindes fiel und die Edelsten des Reiches um ihr Leben rannten wie die niedrigsten Bauern.
Illyra, deren Kindheitserinnerungen nicht weniger drastische Szenen enthielten, teilte Chabostus’ Angst - und ihre unauslöschliche Empörung darüber, daß keiner dieser Riesen, die ihre Welt beherrschten, sie beachtete. Schlimmer noch, ihre Mutter Shupansea war offenbar vor Angst nur noch zum Stammeln fähig.
In der kindlich anklagenden Vorstellung der Kleinen hatte sich ihre Mutter die Aufmerksamkeit und den Trost angeeignet, der ihr, Cha-bos, zustand. Das Kind war nicht fähig, diese Umkehrung des Universums zu begreifen, deshalb klammerte es sich an die Dinge, die es verstehen konnte: Nie zuvor hatte es ähnlich empfunden, und nie zuvor hatte es so viel Blut gesehen. Deshalb mußte es das Blut sein, das diese schrecklichen Gefühle verursachte. Blut und diese Gefühle waren untrennbar miteinander verbunden.
So wurde Blut zum absoluten Schrecken in ihrer Welt.
Vanda arbeitete hastig, um die Wunde des Kindes zu säubern und zu bedecken, denn sie war sich der wachsenden Ängste des Kindes durchaus bewußt, ohne ihren Grund zu kennen. Obgleich den Wachen versichert worden war, daß die Verletzung weder ernsthaft war noch das Ergebnis einer Untat, kontrollierten sie lautstark die umliegenden Korridore - hauptsächlich, um Shupansea zu beweisen, daß sie ihren Pflichten nachgingen.
Illyra beobachtete die Aufregung aus größerer Distanz. Sie hatte sich aus den Visionen des Kindes befreit und dadurch ein wenig ihrer Angst vor dem giftigen Blut verloren, das immer noch ihren Arm besudelte. Und sie war so klug gewesen, nicht völlig in die hektische Welt der Kinderstube zurückzukehren.
Die Seherin blieb von ihrer Umgebung gelöst, bis Shupansea über die Schwelle trat, dicht gefolgt von Prinz Kadakithis und einem Dutzend Höflingen. Die Beysa sank anmutig auf die Knie und versuchte, ihre Tochter in die Arme zu nehmen. Doch das wollte Chabostu nicht und kämpfte wie ein kleiner Dämon, um der Fürsorge ihrer Mutter zu entgehen.
»Durchlaucht.?« warf Vanda vorsichtig ein und deutete unauffällig auf den Verband.
Shupansea, die wußte, was passieren würde, wenn die Wunde wieder blutete, zog ihre Arme zurück. »Es war sehr schwierig für sie«, sagte sie leise zu Illyra. Sie sprach, wie es jede andere Mutter auch getan hätte, deren Kind sie zurückstieß.
Obwohl Illyra die Mutter eines voraussichtlichen Gottes war, hatte sie keine Ahnung, wie sie mit jemandem reden sollte, der gleichermaßen Göttin wie Königin war. Sie warf einen verstohlenen, hilfesuchenden Blick auf Vanda und schloß, daß deren Nicken bedeutete, sie solle sich Shupansea gegenüber mit der gleichen überlegten Vertrautheit benehmen, wie sie es bei ihren Kunden tat. »Kinder haben ihren eigenen Kopf«, sagte sie mit der Spur eines Lächelns.
Die guten Manieren der Beysa verhinderten, daß sie starrte, aber ihre Lieblingsviper wählte ausgerechnet diesen Moment, sich raschelnd durch das Untergewand zu schlängeln und den juwelenfarbigen Kopf aus Shupanseas Kragen zu strecken. Sie züngelte die Luft, wobei sie ihren rosigen Schlund und die elfenbeinfarbigen Giftzähne entblößte. Dann, während die Frauen reglos standen, senkte sie sich auf Illyras Ärmel hinunter.
»Rührt Euch nicht!« mahnte die Beysa unnötigerweise.
Illyra verharrte reglos, bis die Beynit mit ihrer vor und zurück schnellenden Zunge das verkrustete Blut auf Illyras Ärmel untersuchte. Jeglicher Gedanke an einen sofortigen Tod war unbedeutend, verglichen mit der Berührung der Schlange. Mit einem würgenden Keuchen schoß Illyra aus dem Kreis und warf Viper und Kind in entgegengesetzte Richtungen.
Cha-bos schrie, die Schlange verschwand, und Illyra war von einer gemischten Kohorte Palastwachen umringt. Rankaner, Ilsiger und Beysiber richteten in erstaunlicher Einigkeit ihre geschliffenen Lanzenspitzen auf den Hals der Seherin.
Die Wachen kannten ihre Pflicht; niemand würde sie zur Rede stellen, weil sie nicht die üblichen Maßnahmen ergriffen, wenn das
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