Im Herzen Rein
anders wahrgenommen und seine Kraft gespürt.
Marius schien ihn unausstehlich zu finden. So wirkte es jedenfalls auf Paula. Justus hatte ein kleines Aufnahmegerät aufgestellt und vorgeschlagen, das Gespräch aufzunehmen. Ralf könne es dann gelegentlich unterschreiben, und die Sache sei vom Tisch.
Ralf war einverstanden. Er gab sich gleichgültig, war dabei aber frostig und beantwortete Justus’ einleitende Fragen kurz und knapp. Offenbar hatte er sich entschlossen, die Sache möglichst schnell hinter sich zu bringen.
»Seit wann kennen Sie Josef Heiliger?«
»Seit etwa vier Jahren.«
»Und seit wann Antonia Hartmann?«
»Seit einem Jahr.«
»Wie haben Sie sie kennengelernt?«
»Am Eröffnungstag der Franzosen, die das MoMA nach Berlin ausgeliehen hat. So konnten wir uns den Flug nach New York sparen.«
Paula arbeitete mit Marius bei Befragungen deshalb gern zusammen, weil er nie etwas durchgehen ließ, das er nicht verstand. Er achtete auf jede Formulierung, jeden Begriff, jeden Zusammenhang bei den Aussagen und fragte immer nach, um alles zu klären, Widersprüche und die möglichen Lügen dahinter. Das brachte er jetzt auch, als er fragte: »MoMA? Was ist das?«
»Das ist das Museum of Modern Art«, sagte Ralf in betont nachsichtigem Ton, der bedeuten sollte, das weiß doch schließlich jeder . Paula ärgerte sich darüber.
Marius ließ nicht locker. »Und was haben die Franzosen damit zu tun?«
Paula starrte auf das Schauspiel, das sich zwischen den beiden Männern abspielte.
Ralf beließ es nicht bei einem kurzen Hinweis, sondern hielt einen erschöpfenden Vortrag über die Ausstellung. Natürlich wusste er, dass es für Marius nicht von Interesse war, aber er genoss es, weit auszuholen und Marius’ Geduld zu strapazieren.
Paula musste sich zusammenreißen, um nicht einzugreifen.
Justus saß da, als würde er das Vorüberfahren eines langen Güterzugs abwarten, ehe er die Bahnschienen überqueren könnte, um weiterzukommen.
Als aber dieser Güterzug kein Ende nahm, unterbrach sie doch: »Warum hast du die Ausstellungseröffnung erwähnt?«
Ralf schaute sich zu ihr um. »Die Frage war, wann und wo ich Antonia Hartmann kennengelernt habe.« Sie sah seine Augen ironisch blitzen.
»Und wo war das?«, fragte Marius, als wäre er aus einem Schlaf erwacht.
Ralf wiederholte genussvoll seine erste Antwort: »Bei der MoMA-Eröffnung.«
»Wie kam es dazu?«, sprang Justus ein.
»Ich stand vor Claude Monets ›Garten von Sainte-Adresse‹ aus dem Jahr 1867, als mich eine junge Frau ansprach, ob ich das Bild auch falsch gemalt finde. Ich antwortete, ich wünschte, ich könnte so falsch malen. Daraufhin kamen wir ins Gespräch. Tatsächlich verstand sie sehr viel von Malerei. Während wir von Bild zu Bild gingen, machte sie weiter originelle Bemerkungen. Als wir schließlich vor einem Bild von Salvador Dalí standen, pries ihn Heiliger neben uns als den großen Vorläufer der Postmoderne, als instinktsicheren Markt- und Vermarktungskenner. Es war sehr provokant, und Antonia lachte. Es gab eine hitzige Diskussion zwischen den beiden, dann stellten wir uns vor, und Heiliger lud uns in die Bar vom Hyatt ein. Ich schlug die Einladung allerdings aus, weil ich für Paula kochen wollte.«
Paula wurde es heiß. In dieser Erzählung fand sie sich als biedere Ehefrau wieder, die auf das Essen wartete, während Antonia vor Originalität sprühte. Es machte ihr plötzlich etwas aus, dass Justus in seinem rostroten Hemd mit der altmodischen Krawatte die einzelnen Phasen ihrer privaten Beziehung wie ein Registrierbeamter aufzeichnete.
Trocken fragte er: »Dann hat Josef Heiliger seine Freundin Antonia Hartmann durch Sie kennengelernt?«
»Genau.«
»Und wie entwickelte sich das Verhältnis zwischen Heiliger und Frau Hartmann weiter?«
»Antonia war fasziniert von ihm. Sie wollte von ihm lernen, wollte für ihn arbeiten und mit ihm zusammenleben.«
»Sie wollte ihn heiraten«, verbesserte Paula.
Ralf lächelte mit feiner Ironie. »Ja, das wollte sie.«
Paula dachte an die Kränkungen, die er in den letzten Jahren erfahren hatte. Erst die zunehmenden Bemerkungen über seinen ausbleibenden beruflichen Erfolg, dann seine Begegnung mit dem extrem erfolgreichen Heiliger, der ihn als Schlappi verachtete, und schließlich die Begegnung vor dem Monet mit der jungen Frau, die den großen Franzosen kess herabsetzte, um sich dann gleich dem Star der Berliner Kunstszene, Josef Heiliger, zuzuwenden. Das muss eine Abfuhr
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