Im Herzen Rein
Standspiegel herbei und gab ihr Make-up und Lippenstift, damit sie sich zum Ausgehen zurechtmache. Sie wischte ihre Tränen ab, schminkte und frisierte sich. Er beobachtete sie genau und befahl ihr, die Lippen noch einmal nachzuziehen.
Als sie fertig war, rollte er den Spiegel zur Seite und zeigte auf eine Stellwand. Sie sollte sich nun vorstellen, auf dieser Wand einen Film zu sehen. Dazu sollte sie sich bequem hinsetzen, so wie sie es beim Anschauen eines Filmes tun würde.
In dieser Stellung fotografierte er sie. Dann befahl er ihr, sich auf den Stuhl daneben zu setzen. Danach musste sie das blaue Kleid bis zur Hüfte wieder aufknöpfen. Er fesselte sie so fest an den Stuhl, dass sie sich nicht mehr rühren konnte.
Er spürte einen ekstatischen Rausch, als er sah, wie sie auf seine Hand starrte. »Die Todesangst fährt dir ins Herz.« Die spitze Stahlnadel mit dem roten Glaskopf zielte auf ihre Brust.
»Ins Herz … Herz … Herz«, wiederholte er flüsternd.
18
Paula holte Ralf vom Bahnhof ab. Sie war zu früh da und wartete auf den einfahrenden Zug. Er brachte ihr die Erinnerungen an ein gemächliches Lebenstempo, die Seeluft und das Sonnenlicht auf dem Wasser. Sie freute sich auf Ralfs Erzählungen und lachte, als der Zug beim Halten quietschte.
Ralf stieg ganz in der Nähe aus. Sie lief auf ihn zu und nahm ihn in den Arm. Sie hielten sich lange umschlungen. Dann schob sie ihn von sich und betrachtete ihn. »Gut siehst du aus.« Sie küsste ihn und nahm seine Umhängetasche. »Du hast hoffentlich im Zug nichts gegessen.«
»Nein.«
»Das ist gut. Ich war gestern auf dem Markt und koche nachher.«
»Hast du inzwischen einen Kochkurs gemacht? Ich dachte, du jagst einen Killer.«
Sie stupste ihn für diese kleine Frechheit und hakte sich bei ihm ein. »Bist du heute noch geschwommen?«
Er erzählte, wie schön die See gerade heute war, und sie sah alles deutlich vor sich: das weite Meer mit dem blauen Himmel darüber, die blau-weißen Strandkörbe, die Promenade und das Hotel mit den gelben Markisen.
Zu Hause führte sie ihn auf den Balkon und präsentierte ihm den gedeckten Tisch: auf weißem Tuch das Silberbesteck von ihrer Großmutter, das sie extra poliert hatte, rosa Papierservietten, kunstvoll drapiert auf weißen Tellern mit blauem Rand, und überall verstreute Asternblüten in Blau, Rot und Rosa.
»Hoi, so feierlich. Gibt es etwas Besonderes?«, fragte er.
»Nur deine Rückkehr«, sagte sie trocken. »Willkommen daheim.«
Sie reichte ihm ein Glas Prosecco und stieß mit ihm an.
Nach einem großen Schluck inspizierte er den blauen Elektrogrill: Das Wasser unter dem Rost war schon eingefüllt. Er folgte ihr in die Küche, wo sie das Baguette in den Ofen schob und die Vorspeisen in kleine Schüsseln verteilte.
Er war auffallend still.
»Es hat mir leidgetan, dass ich so plötzlich abreisen musste«, sagte sie.
»Der erste Tag und die erste Nacht waren schwer.«
Sie nahm ihn in den Arm. »Ich weiß, Ralf. Aber es wäre gleich zu Anfang schiefgelaufen, wenn ich nicht da gewesen wäre.«
Er machte sich los und legte das Lamm-, Schweine- und Kalbfleisch, das sie jeweils in einem anderen Sud eingelegt hatte, auf eine Platte.
»Chris hat die Abteilung gewechselt«, sagte sie.
»Hattest du erzählt. Und da ist sie gleich für deinen Fall zuständig?«
»Eigentlich nicht. Sie musste den zuständigen Kollegen vertreten. - In das Olivenöl mit Balsamico-Essig habe ich etwas Senf und Zucker getan. Und frischen Knoblauch.«
»Sehr gut. Und was hast du da?«
»Getrocknete Tomaten, eingelegte Pilze und Knoblauchzehen, Pasten aus Schafskäse. Dieser hier mit Chili und Paprika, und der mit Spinat, und der mit Knoblauch.«
Sie wusch den Rucola, ließ ihn in einem Sieb abtropfen und legte ihn auf ein frisches Geschirrhandtuch. Dass Chris einen Künstler ins Spiel gebracht hatte, würde ihn sicher interessieren. »Als Chris am Tatort war, ist so’n Typ über die Absperrung gesprungen und hat sie angemacht. Josef Heiliger. Kennst du ihn?«
»Heiliger?« Er lachte.
Sie hielt beim Schnippeln der Radieschen inne. »Was ist daran witzig?«
Er schüttelte den Kopf und schien sich zu amüsieren.
»Kennst du ihn?«
»Jeder in der Kunstszene kennt ihn. Er war in Miami vertreten und hat gerade eine Ausstellung in der Fasanenstraße.«
Sie erinnerte sich an Chris’ Bericht von der Vernissage. Sie schob alles Geschnipselte auf dem Brett zusammen, um es später mit der Salatsoße zu vermischen.
»Er
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