Im Herzen Rein
für die Windlichter zu holen - es sollte ein schöner, gemütlicher Begrüßungsabend werden -, klingelte ihr Handy. Es war der große Lagedienst. »Eine Tote im blauen Kleid ist im Kino Filmpalast gefunden worden.«
19
Sicher war es eine Verwechslung. Die Frau im blauen Kleid beherrschte die Medien, und immer wieder wurde der Filmpalast erwähnt, und die Polizei hatte mehrfach öffentlich gefragt, ob jemand die Frau am 18. September in der 20.30-Uhr-Vorstellung in diesem Kino gesehen hatte.
Paula war genervt. »Die Frau im blauen Kleid ist Mittwoch auf einer Parkbank der Spree-Promenade gefunden worden. Vorher war sie im Filmpalast, aber da lebte sie noch. Überprüfen Sie Ihre Information.« Oder sollte dieser Anruf ein Witz sein? Sie ließ sich Namen und Dienstgrad des Beamten geben.
Der beharrte darauf, dass alles korrekt sei. Die Nachricht komme aus dem Abschnitt 27. Paulas Gedanken rasten: A 27 war der Polizeiabschnitt in Charlottenburg, zuständig für den Filmpalast, insofern könnte es stimmen. »Okay, ich werde hinfahren.«
Sie ging auf den Balkon und legte den Arm um Ralf. »Es tut mir leid.«
»Was?«
»Es ist absurd. Sie behaupten, dass im Filmpalast eine tote Frau im blauen Kleid sitzt.«
Ralf fand es ebenso absurd wie sie, aber immerhin beschäftigte ihn der mögliche Irrtum, der sich in der Nachrichtenkette irgendwo eingeschlichen hatte, mehr als seine Enttäuschung über den abgebrochenen Abend. Sie dankte ihm für sein Verständnis und rannte los.
Auf dem Weg nach Charlottenburg rief sie erst das Team an und dann Chris.
»Filmpalast? Wieso Filmpalast?«, fragte die verwirrt.
»Wenn meine Info stimmt, haben wir den gleichen Fall noch mal.«
»Wie bitte?« Chris war entsetzt, aber Paula hatte keine Zeit, darauf einzugehen.
Als sie ankam, war vom Team noch niemand da.
Das Kino war hell erleuchtet. Die örtliche Kripo hatte vor dem Gebäude alles abgesperrt, einschließlich der Schaukästen auf dem Bürgersteig. Weil der Fußgängerweg so breit war, konnten die Passanten jenseits des rot-weißen Bandes noch vorbeigehen, aber viele blieben neugierig stehen. Zwei Uniformierte bewachten das Flatterband, ohne auf die Fragen zu reagieren.
Paula ging durch die Kinopassage bis zum Foyer. Der Schichtleiter sagte, der Notarzt habe den Tatort gleich wieder verlassen, weil die Tote bereits seit Stunden tot sei. Sie war erst im Saal entdeckt worden, als alle Zuschauer bereits gegangen waren und ein Mitarbeiter den Abfall einsammeln wollte. Er war noch da, außerdem auch der Geschäftsführer und die Frau, die die Karten abgerissen hatte. Paula bat sie, sich als Zeugen für ein Gespräch bereitzuhalten. Erst einmal wollte sie sich umsehen. Sie zog den Schutzanzug mit Kappe, Handschuhen und Überschuhen an und betrat den Kinosaal.
Sie ging bis zur Toten, die mit einer Tüte Popcorn in der Hand in einer der vorderen Reihen am Rand saß, so als würde sie immer noch den Film sehen. Ihre Augen waren geöffnet, hatten aber den stumpfen Ausdruck einer Blinden. Ihr rechter Schuh lag umgedreht auf der Lehne des Vordersitzes: ein schwarzer Schuh mit Absatz und roten Punkten. Obwohl der Beamte am Telefon schon von einem blauen Kleid gesprochen hatte, war sie schockiert, nun mit eigenen Augen zu sehen, dass die Tote das gleiche Kleid anhatte wie Silvia Arndt. Ihr fiel Bachs Äußerung ein: Ich frage mich, ob das blaue Kleid zur Inszenierung gehört.
Jetzt war es klar: Das Kleid hatte nicht Silvia Arndt gehört. Der Mörder hatte es ihr angezogen, so wie dieser Frau auch.
Die Frau war schlank und hatte blonde Haare - ganz der Typ, hinter dem der Killer her zu sein schien. Derselbe Typ wie das erste Opfer und im gleichen Alter.
Silvia Arndt war auf eine Weise missbraucht worden, die selbst bei der Obduktion nicht geklärt werden konnte. Es waren keine Spuren von Vergewaltigung festgestellt worden, aber Professor Posch war sicher, dass der Täter sie psychisch gefoltert habe. Er hatte sie gefesselt, sodass sie sich nicht bewegen konnte, und durch die Brust erstochen. Die Nadel hatte er stecken lassen, das Blut abgewischt und gewartet, bis alles trocken war, und dann das Kleid zugeknöpft. So hatte sie gesessen, bis sie steif war und er sie im Rollstuhl abtransportieren konnte. Hatte er diese Frau auch mit der Nadel getötet? Und steckte sie noch? Wo war eigentlich der Gerichtsmediziner? Sie schaute zum Eingang.
Und wieder hatte der Täter sein Opfer in die Öffentlichkeit gesetzt. Hatte er absichtlich
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