Im Herzen Rein
das Kino gewählt, in dem auch Silvia Arndt gewesen war? War derselbe Film gelaufen? Hatten der Film oder das Kino eine Bedeutung? Wie war es ihm überhaupt gelungen, eine Tote in die Vorstellung zu bringen, ohne dass das jemand bemerkt hatte?
Ein Blitzlicht schreckte sie aus ihren Gedanken. Sie wollte schon losfauchen, sah aber rechtzeitig, dass kein dreister Journalist eingedrungen war; es war Scholli, der die Polizeifotos machte. Jetzt kam auch Dr. Kirch. Sie begrüßte ihn kurz und machte ihm Platz. Er beugte sich über die Tote, knöpfte das Kleid auf und legte die Brust frei.
Paula hielt kurz die Luft an. Kirch beugte sich vor, verdeckte ihr die Sicht und sagte: »Derselbe Täter.« Sie schob ihn beiseite. Die linke Brust war mit einem roten Glasknopf »geschmückt«.
»Nadeleinstich?«, fragte sie mechanisch.
»Ja.« Die Augen hinter seiner Brille waren ausdruckslos, seine Haut war fahl. Er wirkte erschöpft, nicht viel lebendiger als die Tote. »Die Leichenstarre ist in vollem Umfang eingetreten. Sie ist seit über zehn Stunden tot. Genau wie beim vorigen Fall.«
Justus kam dazu. »Kann die Spurensicherung rein?«
»Ja, wenn Scholli alles fotografiert hat.«
Justus winkte den Fotografen herbei.
»Ist Frau Gregor da?«, fragte Paula.
»Bisher nicht.« Justus schüttelte den Kopf.
Als Scholli erschien, deutete sie auf die Handtasche, die rechts von der Toten auf dem hochgeklappten Sitz lag. »Ich muss sehen, wie die Tote gesessen hat und was um sie herum war«.
»Geht klar«, antwortete er.
Sie öffnete die Handtasche und fand darin nichts weiter als einen Flakon mit Chanel N° 5. Ratlos legte sie die Tasche wieder genauso zurück, wie sie dort gelegen hatte.
Sie ging ins Foyer, wo das Kinopersonal am Süßigkeitenstand auf sie wartete, und fragte Waldi nach der Staatsanwältin. »Frau Gregor bezahlt gerade das Taxi.«
Paula bat die Kinoangestellten noch um Geduld und ging auf die Straße.
Dort war inzwischen der Teufel los. Ungefähr dreißig Journalisten und Fotografen drängten sich hinter der Absperrung und riefen: »Frau Hauptkommissarin!« »Frau Zeisberg!« Einige benutzten auch nur ihren Vornamen. Paula reagierte nicht. Sie sah, dass Chris Mühe hatte durchzukommen. Sie winkte zwei jungen Uniformierten zu und wies sie an, der Staatsanwältin Platz zu verschaffen. Die beiden drängten die Presse zurück und bahnten ihr eine Gasse.
»Wieder?«, fragte sie angespannt und sah Paula an.
Die nahm ihren Arm und zog sie in die Kinopassage. An der Kasse blieb sie stehen und erklärte knapp, was sich hier abgespielt haben musste. »Die entscheidende Frage ist, ob jemand gesehen hat, wie der Täter die Frau in die Vorstellung brachte«, sagte sie.
Chris schob Paula schon mitten im Satz beiseite, verlangte, die Leiche zu sehen, und ging auf den Saaleingang zu.
»Du musst den Schutzanzug überziehen. Warte, ich hol dir einen«, rief ihr Paula hinterher und ließ einen von Max aus dem Bus holen. Dann wartete sie ab, bis Chris ihn angezogen hatte, und folgte ihr ins Kino.
»Das ist nicht wahr«, flüsterte Chris, als sie vor der Toten stand.
»Kennst du sie?«, fragte Paula.
»Warum sitzt sie denn so da?«
Paula dachte, Chris sollte doch besser zur Wirtschaftskriminalität gehen, wie der Vater ihr schon geraten hatte. Sie versuchte, Chris zu besänftigen, aber sie stand wie hypnotisiert vor der Toten. Paula fragte betont munter: »Wie war denn dein Wochenende?«
Keine Reaktion.
»Deine Eltern waren doch da. Was habt ihr denn gemacht?«, fragte sie weiter nach.
»Wir waren essen«, kam es tonlos.
»Aha.« Paula gab auf. »Ich unterhalte mich jetzt mit den Leuten vom Kino.«
Am Saalausgang drehte sie sich noch einmal um. Die Freundin stand vor der Toten, als erwartete sie ein Wunder. Ihr blondes Haar strahlte fast weiß im Licht der Scheinwerfer - wie ein Leuchten um ihr Gesicht. Die Tote kam in Bewegung, und diese Bewegung übertrug sich auf Chris. Die Leiche wurde mit den abgewinkelten Knien auf eine Trage gehoben und in Richtung Ausgang balanciert, wo Paula stand.
Sie ging schnell zum Geschäftsführer und fragte, ob es irgendwo einen Ort gäbe, an dem sie sich ungestört unterhalten könnten. Er wies auf die Tür neben der Kinokasse, Paula nickte. Tommi rief, ob der Rollstuhl zur Untersuchung abtransportiert werden könne.
»Welcher Rollstuhl? Wieder ein Rollstuhl?«
»Hast du noch nicht mit Herrn Walther gesprochen?«, fragte er mit Blick auf Paulas Begleiter.
»Er hat
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