Im Herzen Rein
Mutter-Kind-Gesundheit liege. Bis zu 85 Prozent der Bevölkerung dort lebe von weniger als einem Dollar pro Tag, und 40 Prozent seien nicht älter als 14. Er hatte auch Fotos von Afghanistan, wo sie Nothilfe in den Bergen von Ghor leisteten. Nach der Taliban-Herrschaft haben sie die medizinische Grundversorgung mit zwei Krankenhausprojekten sichern können, erzählte er ihr.
Er war aufgestanden, stand jetzt hinter ihr und legte die Hände auf ihre Schultern. Ein wohliges Gefühl kroch ihr über den Rücken.
»Entspann dich«, sagte er, während seine Finger zärtlich ihre Muskeln massierten.
Früher war er immer schüchtern gewesen. Bei ihren Begegnungen hatte er sie kaum berührt, und immer war er danach gleich wieder verschwunden. Damals war er ein Junge in der Pubertät, inzwischen hatte er viel erlebt, andere Kulturen kennengelernt und hatte beruflichen Erfolg. Gab es Gemeinsamkeiten zwischen ihr und ihm?
»Das ist angenehm, Jonas. Aber du solltest das lassen. Ich weiß nicht, was du von mir willst. Du rufst mich an als alter Schulkamerad und erzählst mir von deiner Arbeit. Was willst du?« Wie gut ihr die körperliche Berührung gefiel, sagte sie nicht.
»Muss man immer etwas wollen? Ich habe keine Freunde mehr von früher. Als ich jetzt in der Presse von dir hörte und gerade in Berlin war, dachte ich, ich nehme den Kontakt mal wieder auf. Und ich hatte das Gefühl, du würdest dich freuen.«
Sie sah ihm in die Augen. Wahrscheinlich war sie rot geworden. »Ich habe mich auch gefreut. Aber das heißt doch nicht … Der Beruf lässt uns nicht viel Zeit für private Freundschaften, wenn man so engagiert arbeitet, wie wir es tun. Und schon gar nicht, wenn so eine große Distanz dazwischenliegt.« Wie sollte so etwas überhaupt gehen, fragte sie sich und erschrak darüber, dass sie sich diese Frage überhaupt stellte.
»Von uns persönlich hängt viel mehr ab, als wir meinen.«
»Du bist ein attraktiver Mann, Jonas. Ich war damals furchtbar in dich verliebt. Aber du hast nichts davon bemerkt.«
Er lächelte und zog sie langsam zu sich heran. Sie wollte ihren Kopf an seine Brust legen, wie sie sich das als Mädchen so oft gewünscht hatte, sich ausruhen, einfach träumen. Aber er ließ ihr keine Ruhe, er streichelte sie weiter. Seine Hände wanderten über ihren Rücken und ihre Hüften. Sie spürte seinen Atem. Der Gedanke an Sex lag in der Luft.
Sie dachte daran, wie sie Marius abgelehnt hatte. Sie dachte auch an Ralf und überlegte, ob er wohl zu Hause wartete. Sie wusste, dass sie sich nur in klaren und ehrlichen Verhältnissen wohlfühlte und dass sie selbst auch nicht betrogen werden wollte. Aber sie spürte auch, wie ihr Körper gegen diese Vernunft rebellierte.
Sie schob ihn sanft von sich. »Ich möchte jetzt gehen.«
Er nickte. »Das war versprochen.«
Als er ihr in die Jacke half, strich er ihr sanft über den Rücken. Sie drehte sich um, küsste ihn und verließ das Zimmer.
Im Parterre öffnete sich die Fahrstuhltür zur Lobby, und sie zögerte. Doch als sich die Tür wieder schloss, drückte sie entschieden auf Öffnen und stieg aus. Zu dem Stress im Job konnte sie nicht noch privates Chaos gebrauchen.
30
Als Paula beschwingt ins Büro kam, lächelte Marius sie an, und sie lächelte zurück. Sie hatte keine Angst davor, ihn nicht auf Abstand halten zu können.
Die Kollegen waren mit der Vorbereitung der Pressekonferenz so weit fertig und wollten alles mit ihr durchsprechen. Sie diskutierten kurz, was sie der Öffentlichkeit preisgeben sollten und was nicht und wie man weitere Kinobesucher aus der Vorstellung, in die der Killer Johanna Frenzi gesetzt hatte, dazu bringen könnte, sich zu melden.
Anschließend protestierte Marius wegen der digitalen Bänder aus dem Lindencafé. »So viel Material kann ich auf keinen Fall allein durchsehen. Das schaffen wir kaum zu zweit.«
Paula ging mit in sein Büro, wo die Kartons mit den Bändern standen. Zwei Techniker von der KT bauten einen Bildschirm mit Abspielgerät auf.
»Die haben noch ein zweites Gerät mitgebracht, wo sollen sie das hinstellen?«
»Zu mir ins Büro«, sagte sie voller Elan.
Justus teilte ihr mit, dass die Spurenexperten nichts Auffälliges in der Wohnung von Johanna Frenzi gefunden hatten. »Das Bettzeug ist serologisch untersucht worden, aber es gibt keine Fremdspuren. In der Wohnung an sich schon, aber es ist ausgeschlossen, dass dort der Mord passiert ist.«
Der Tatort musste woanders sein. Der Killer hatte Johanna
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