Im Herzen Rein
Max ins City Clipper Hotel zu fahren, um Kemper in die Keithstraße zu bestellen oder ihn am besten gleich mitzunehmen - vor seinem Abflug nach Stuttgart.
Dann fiel Paula ein, dass Chris ihr den Ausgang der Aktion im Borchardt noch nachts mitteilen wollte. Sie sprang aus dem Bett, so in Gedanken, dass sie fast über Kasimir gestolpert wäre, der sich maunzend in Sicherheit brachte. Sie ging in die Hocke und zwitscherte wie ein Vögelchen, aber er war eingeschnappt. Sie stellte ihm das Futter hin und hörte Chris’ Nachricht auf dem Anrufbeantworter, während sie den Tee einfüllte.
Paula war schon vor dem Ende der Geschichte klar, dass einer der Kellner Heiliger die Geschichte mit dem Glas gesteckt hatte, als er von der Toilette zurückkam. Sie musste sogar lachen, als Chris beschrieb, wie er im Taxi das Glas aus dem Fenster geworfen hatte. Diese Aktion passte zwar zur provokativen Haltung des Täters, wie Bach sie beschrieben hatte, bewies aber nichts. Chris nahm das natürlich als weiteren Hinweis, weil sie meinte, ein Unschuldiger würde auf so etwas gar nicht kommen. Sie war entschlossen, es wieder zu versuchen. Sie war sich sicher, dass es eine weitere Gelegenheit geben würde.
Paula duschte und trank den Tee, während sie sich anzog. Dann fuhr sie ins Büro, ohne noch einmal zu Ralf ins Schlafzimmer zu schauen. Sie war nicht in der Laune für nette Worte, und verstellen mochte sie sich nicht.
Im Büro machte sie sich gleich daran, die Videos zu sichten. Kemper musste drauf sein, und vorsichtshalber wollte sie sich ihn in der Situation mit Johanna Frenzi mal ansehen, bevor sie ihn laufen ließ.
Ulla legte ihr ein Brötchen mit Mozzarella und Tomate hin, aber Paula rührte es nicht an, sondern blieb konzentriert vor dem Bildschirm. Ihr Kopf füllte sich mit Bildern von Menschen, die schwatzten, Kaffee tranken, vor einem Glas Bier oder Wein saßen, eine Suppe löffelten, in einem Salat pickten, die lachten und andere begrüßten, die kamen und gingen, und jeden Morgen von Neuem Kaffee tranken, bis sich das Lokal spät in der Nacht leerte.
Das Telefon klingelte und störte sie in ihren Gedanken, aber sie hatte Ulla gesagt, wichtige Anrufe nehme sie an.
»Hallo, Paula.« Die Stimme elektrisierte sie.
»Jonas!« Mit ihm hatte sie nicht gerechnet.
»Ich bin in Frankfurt. Das Treffen in Islamabad ist verschoben worden. Die Situation erscheint im Moment unübersichtlich. Ich bin aber auf Abruf. Wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre ich noch in Berlin geblieben. Bei dir.«
»Nett, dass du das sagst, aber ich hätte sowieso keine Zeit gehabt. Es war schön, aber wir sollten die Vergangenheit ruhen lassen.«
»Wir haben uns vorgestern gesehen, das ist für mich Gegenwart.«
»Machen wir uns nichts vor, Jonas, ich habe einen Mann. Und einen Beruf, der mich voll ausfüllt und viel Zeit braucht.«
»Gut, für mich ist es auch alles sehr schwierig, aber ich würde dich trotzdem gern noch einmal sehen. Vielleicht ist es gegen jede Vernunft, aber es wäre mir wichtig.«
»Es war wirklich sehr schön, dass wir uns getroffen haben - ich habe es mir immer gewünscht. Aber damit habe ich meine Kindheitserinnerungen abgeschlossen. Leb wohl, Jonas. Ich wünsche dir alles Gute.«
»Auf Wiedersehen, Paula.«
»Auf Wiedersehen, Jonas.«
Auf Wiedersehen? Hatte er die Worte bewusst gewählt oder nur gedankenlos als eine Formel benutzt? Sie schaltete sofort das Video wieder an; sie wollte sich ablenken und nicht nachdenken. Es war richtig, sich von Jonas zu verabschieden, denn sie hatte so viel zu tun und wollte sich nicht noch zusätzlich in einen Konflikt mit Ralf bringen.
Die Kellner und Kellnerinnen gingen mit ihren langen weißen Schürzen herum, schleppten Getränke und Speisen an die Tische, trugen abgegessenes Geschirr und leere Gläser weg und begrüßten neue Gäste. Dazwischen spazierte Georg Valentin herum, blieb an Tischen stehen, plauderte, lachte, setzte sich bei einigen dazu, machte Fotos, notierte etwas und verteilte die Notizen, als verschenkte er Gedichte. Wenn er auftrat, ließ Paula die Bilder langsamer laufen und versuchte zu erraten, was gesagt wurde. Das meiste sah sie aber im Schnelldurchlauf.
Sie überlegte, auf welchem Trip der Besitzer des Lindencafés wohl war. Oder hatte er diese sprühende Energie, weil er sich in seinem Aquarium einfach wohlfühlte?
Wenn Johanna Frenzi auftauchte, schaltete sie auf normal oder langsam. Sie bewegte sich temperamentvoll durch die Tische, eine schlanke
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