Im Himmel ist die Hölle los
Kameraden und ein paar hundert Blechkanistern schon vor uns da, und dann mußten die armen Kunden mit Wasser vorlieb nehmen, das in Lagerbier verwandelt wurde. Das gab natürlich meistens Ärger. Kein Wunder, daß die ganze Abteilung bei den hohen Tieren so einen schlechten Ruf hatte. Wo wir gerade von Bier sprechen, hast du noch welches da?«
Er schwenkte die leere Bierflasche. Gustav lächelte einfältig und holte eine zweite Flasche, die bereits von Spinnweben überzogen war.
»Prost«, sagte Björn. Er köpfte die Flasche, nippte geistesabwesend am oberen Schaum und nahm laut schlürfend einen großen Schluck.
»Das klingt ja alles sehr unerfreulich«, meinte Gustav.
»Unerfreulich?« Björn gluckste vor Lachen. »Wem sagst du das, mein Lieber. Keine Sorge, ich könnte dir etliche Geschichten erzählen. Wie wär’s zum Beispiel mit einer aus der Zeit, als wir die Nächte hergestellt haben und ›Norman der Bekloppte‹ voll den Rappel gekriegt und den alten Lieferwagen von seinem Bruder mitten im Großen Bären stehengelassen hat? Oder aus der Zeit, als ›Trev der Verrückte‹ und ich in der Flußabteilung gearbeitet haben und Trev kurz vor der Überschwemmung des Nils plötzlich mußte? In dem Jahr haben die Ägypter garantiert einen gehörigen Schrecken gekriegt, das kann ich dir laut sagen«, fügte Björn hinzu und lachte markerschütternd.
Gustav schloß die Augen; ihm war schlecht. Über seinem Bett hatte er das kleine Bild eines Engels hängen; seine Mutter hatte es dort vor drei Jahren aufgehängt und ihm gesagt, während er schlafe, wache der Engel über ihn. Sobald ich wieder allein im Haus bin, sagte sich Gustav, werde ich eine Schaufel holen und das Bild unter der Eiche vergraben.
»Glaub bloß nicht, daß alles schlecht gewesen sei«, erzählte Björn gerade. »Zum Beispiel gab es den Wachdienst. Dort habe ich eigentlich ganz gern gearbeitet. Da wurde einem dieses Flammenschwert in die Hand gedrückt, und man stand vor den Toren des Garten Eden herum. Jeder, der so blöde war und auch nur ansatzweise versuchte, dort hineinzugelangen – zack!« Durch eine anschauliche scharfe Bewegung mit der Flasche illustrierte er die Handlung und schüttete sich dabei die letzten Bierreste über den Handrücken. »Bleib ruhig sitzen – da vorne im Schrank, stimmt’s?« sagte er. Dann stand er auf und taumelte zum Schrank.
Gustav schloß die Augen.
»Was ist denn das?« hörte er Björn rufen. »Es ist kein Bier mehr da, so eine Scheiße! Aber Moment mal, das hier geht auch. Prost!«
Na großartig! dachte Gustav. Jetzt hat er die Flaschen mit dem Farbverdünner entdeckt.
»Greif ruhig zu«, forderte er Björn mit dünner, blecherner Stimme auf, die er nur mit Mühe als die eigene wiedererkannte.
Björn, der sich wieder ans Feuer setzte und den Flaschenhals abwischte, fuhr fort: »Jedenfalls habe ich das alles so lange wie möglich ertragen, aber zum Schluß konnte ich es einfach nicht mehr aushalten.«
»Ehrlich?«
»Ja.« Björn saugte kräftig an der Flasche, zuckte zusammen und leckte sich die Lippen. »Ich habe geglaubt, ich würde durch die Arbeit … na ja, so was wie verrohen, verstehst du? In meiner Jugend soll ich nämlich irgendwie feinfühlig gewesen sein, weißt du, Gefühle und all das. Darum habe ich mich gefragt, was mit mir passieren wird, wenn ich diese Arbeit noch länger durchhalte, und mir eingeredet, ich könnte noch als so ein richtiger Griesgram enden, wenn ich mich nicht vorsehe. Also habe ich lieber aufgehört. Ich meine, wahrscheinlich habe ich mir das alles nur eingebildet, daß sich der Job negativ auf mich auswirken könnte«, fügte er hinzu, »aber man kann nicht vorsichtig genug sein, stimmt’s? Ich meine, das wichtigste im Leben ist doch wohl, sich selbst und anderen gegenüber ehrlich zu bleiben, habe ich recht?«
»Ähm … selbstverständlich.«
»Na eben«, bekräftigte Björn. Dann saß er acht sehr lang erscheinende Sekunden schweigend da und starrte mit finstrer Miene ins Feuer. Gerade, als Gustav einen Schrei aus dem Innern seiner Magengrube aufsteigen fühlte, stand Björn auf, trank die Flasche bis auf den letzten Tropfen aus, stellte sie knallend auf den Tisch und lallte: »Weißt du was? Es hat mir richtig gutgetan, mal darüber zu sprechen. Jetzt fühle ich mich« – er rülpste gräßlich – »viel besser. Das müssen wir unbedingt noch mal machen, klar?«
Gustav schloß die Augen. Einerseits hatte ihn seine Mutter ermahnt, nie bewußt zu
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