Im Himmel ist die Hölle los
lügen. Andererseits hatte sie ihm auch viele Dinge über Engel erzählt, die sich als ziemlich weit von der Wahrheit entfernt herausgestellt hatten.
»In Ordnung, das finde ich auch«, log er.
»Alles klar.« Björn erhob sich nun endgültig, griff nach seiner Axt und taumelte unbeholfen zur Tür. »Heiliger Strohsack!« rief er, während er den Kopf in die liebliche kühle Nachtluft hinausstreckte und angewidert schnüffelte. »Riecht nach Achselschweiß hier draußen. Tschüs dann!«
»Tschüs.«
Gustav schloß hinter seinem Gast die Tür, schob den Riegel vor, schloß die Fensterläden und ließ sich zitternd in den Sessel fallen. Von der fernen Dorfstraße hörte er deutlich die Geräusche eines Mannes mit einer Axt, der seine Kräfte mit der Dorfpumpe maß. Er zuckte zusammen.
Kurz darauf verschwand das Bild des Engels von seinem angestammten Platz über Gustavs Bett und wurde durch einen Pirelli-Kalender ersetzt.
»Oje!« seufzte der Vorarbeiter.
Weit unten stieß eine gewaltige braune Schlange aus übelriechendem Wasserschlamm ihre Schnauze in die Lücken zwischen den Wolkenkratzern. Abgesehen vom gelegentlichen Krachen herabstürzenden Mauerwerks war es in der Großstadt erstaunlich ruhig.
»Ich dachte, Sie hätten Memphis, Tennessee, gemeint«, fuhr der Vorarbeiter mit leicht ängstlicher Stimme fort. »Dann gibt es also noch ein anderes Memphis? Sehr verwirrend das Ganze.«
»Nicht wahr?« stieß sein Vorgesetzter zwischen zusammengepreßten Lippen hervor. »Vielleicht hätte ich es Ihnen lieber ein bißchen genauer erklären sollen. Als ich Ihnen gesagt habe: ›Den Nil bis Memphis über die Ufer treten lassen‹, da hatte ich noch gedacht, selbst einem Vollidioten müsse klar sein, daß ich nur Memphis in Ägypten meinen konnte. Aber offenbar habe ich mich geirrt.« Er schob sich die Mütze in den Nacken und kratzte sich nachdenklich an dem kahlen Flecken über der Stirn. »Wissen Sie was? Den Schlamassel wieder in Ordnung zu bringen, wird ’ne ganze Menge Arbeit.«
»Ach so?«
»Fangen wir nur mal bei den Kleinigkeiten an – da wären zum Beispiel die Krokodile.«
»Die Krokodile?«
»Richtig, die Krokodile.« Er zeigte nach unten auf die Erde. »Die müssen mit der Strömung mitgerissen worden sein oder so. Sehen Sie, da ist schon eins, das gerade die Treppe zum Feuerwehrgebäude hochkriecht.«
»Sie haben recht, ich kann es gerade so erkennen. Du meine Güte, das ist ja …«
»Und in zehn Minuten, wenn wir sämtliche Pumpen gleichzeitig in umgekehrter Richtung laufen lassen, um das Wasser wieder abzuleiten … na ja, dann werden eine ganze Menge Krokodile zurückbleiben. Habe ich recht?«
»Mhm.«
»Aber die Krokodile stellen wirklich nur ein Randproblem dar, und wahrscheinlich wird überhaupt keiner etwas davon bemerken, weil man die komplette verfluchte Stadt wiederaufbauen, Hilfsgüter einfliegen und was sonst noch alles tun muß«, fuhr der Vorgesetzte fort. »Trotzdem hielt ich es für angebracht, es einfach mal zu erwähnen, damit Sie sich sozusagen ein umfassendes Bild machen können.«
Der Vorarbeiter nickte. »Gut, das habe ich getan.«
»Zudem ergibt sich daraus die unumstrittene Tatsache, daß die Ägypter jetzt einen Fluß weniger haben«, fuhr der Vorgesetzte fort, dessen Gesicht sich nach und nach wie eine zu stark gespannte Gitarrensaite straffte. »Darüber werden die sich gar nicht freuen, müssen Sie wissen. Ich habe nämlich den Eindruck, daß die … na ja, daß die sehr am Nil hängen.«
»Ach wirklich?«
Der Vorgesetzte nickte erneut. »Arbeiten Sie eigentlich schon lange in dieser Abteilung?«
Der Vorarbeiter führte einige Berechnungen im Kopf durch und antwortete schließlich: »Noch nicht allzu lange.«
»Wie lange genau?«
»Ähm, acht Stunden. Vorher war ich in der Abteilung für Wahrheit beschäftigt.«
»Wahrheit, aha.« Der Vorgesetzte ging seiner momentanen Lieblingsbeschäftigung nach und nickte einige Male, und dann noch ein paarmal, einfach wegen der Trägheit der Masse.
»Was genau haben Sie dort getan?«
»Murmelmurmelmurmelmurmel.«
»Wie bitte?«
»Ich habe dort den Tee gekocht«, antwortete der Vorarbeiter. »Und manchmal bin ich nach draußen ins Geschäft gegangen, um Doughnuts und solche Sachen zu holen. In der Wahrheitsabteilung haben wir nämlich oft bloß herumgesessen.«
»Das ist logisch.«
»Die Wahrheit ist nämlich eine Tochter der Zeit«, fügte der Vorarbeiter nervös hinzu. »Das wissen zwar nur wenige Leute,
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