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Im Himmel ist die Hölle los

Im Himmel ist die Hölle los

Titel: Im Himmel ist die Hölle los Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Erinnerung an seine Existenz – bis nur noch eine einzige glänzende goldene Büroklammer übrig war, die funkelnd in den oberen Luftschichten herumwirbelte und sich schwerelos in der überwältigenden Leere hob und senkte, die das einzige Überbleibsel darstellte, nachdem die himmlische Ordnung schließlich beseitigt war.
    Und Jane dachte: Also gut, das wäre geregelt und müßte jetzt gut funktionieren. Ein Glas Orangensaft könnte ich gebrauchen.
    Und in ihrem Kopf sagte etwas: Nein, keinen Orangensaft, davon bekommst du Verdauungsstörungen, denk daran, was letztes Mal passiert ist, als du das Zeug auf leeren Magen getrunken hast, du … Es kam aber nie weiter, weil es einen Augenblick später zu seiner großen Überraschung ebenfalls weggesogen wurde und Jane allein – absolut allein – mit ihren Gedanken zurückblieb.
    Und schließlich sah die Herrscherin alles an, was sie in Ordnung gebracht hatte, und siehe, unterm Strich war es nicht schlechter, als sie erwartet hatte. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.
    Und so vollendete sie am siebenten Tage ihre Werke, die sie machte, und ruhte; oder versuchte es zumindest. Aber alle Milch im Kühlschrank war wegen eines Stromausfalls sauer geworden, und keins der Geschäfte hatte geöffnet, weil es ein Sonntag war.
     
    Die Sonne ging auf.
    Da es sich bei ihr um nichts weiter als um eine brennende Gasmasse handelte, konnte sie nicht wissen, daß sie auf die Sekunde pünktlich war, sich auf dem richtigen Kurs befand und sich genau zur rechten Zeit am völlig richtigen Ort befand.
    Als die ersten Organismen zuckend ins Leben traten, blieb die leichte Bewegung an der Wasseroberfläche völlig unbemerkt, weil niemand zusah. Es war kein Empfangskomitee da, kein Band zum Zerschneiden, keine Blaskapelle, nichts.
    Da sich niemand Notizen machte oder die entsprechenden Stellen mit Berichten versorgte, waren die makellosen Landungen der Sonne und der nahtlose Übergang zwischen Tag und Nacht vollkommen überflüssig.
    Weil niemand dafür verantwortlich war oder schuld hatte, war die allererste lebende Zelle mutterseelenallein, als sie mit einem plötzlichen Ruck das Fenster zu ihrem Bewußtsein öffnete und den Urgeburtsschrei ausstieß. Aber sie schrie trotzdem. Und schrie ein zweites Mal. Und wartete.
    Es kam keine Antwort. Nur Geräusche erfüllten die Luft: das Plätschern der Wellen, das Seufzen des Winds, das leise Knirschen der tektonischen Platten und die fernen Echos des Schreis selbst, der sich hundeleinenartig um die Pole schlang und zurückkehrte; aber außer dem einsamen Bewußtsein war niemand da, um diese Geräusche zu hören.
    Es wartete. Es schrie noch einmal. Es horchte. Platsch, schwirr, seufz, knirsch, zisch. Nichts.
    Tja, wenn man verwirrt und ängstlich ist und nicht mit hundertprozentiger Sicherheit weiß, ob man überhaupt da sein sollte, gibt es nichts, was der Stimmung so zuträglich ist, wie ein gutes altes Lied zu singen. Ein schwaches, verlegenes Husten war zu hören, und dann begann eine piepsige und quiekende, aber entschlossene Stimme zu singen …
    Die Sonne hat ’nen Hut auf,
    Hipp, hipp, hurra! Hipp, hipp, hurra …!
    Es war eine sehr schwache Stimme, eine leise, schwache Stimme, ein verschwindend kleines Stimmchen allein in einem unendlichen Meer.
    Die Sonne hat ’nen Hut auf …
    wiederholte sie entschieden. Stille.
    Einige Meter entfernt regte sich etwas. Die Bewegung war so schwach, daß sie niemand wahrgenommen hätte, selbst wenn jemand mit Sehorganen zugegen gewesen wäre. Aber es regte sich, lauschte und erwachte zum Leben; und es sang:
    Die Sonne hat ’nen Hut auf,
    Heute zeigt sie ihr Gesicht.
    Und das war’s. Von da an gab es kein Zurück mehr. Die Kontinente nahmen alle Kräfte zusammen und verzogen die felsigen Küstenlinien zu einem dümmlichen Grinsen; also würden sie doch noch gebraucht werden.
    Als nun der nächste Tag anbrach, erhoben sich nicht eine, sondern viele Stimmen – Sopran, Alt, Kontraalt, Tenor, Bariton, Baß, klanglos, dünn, laut und leise – viele Millionen Stimmen ließen sich hören, um die Sonne zu begrüßen, und sie sangen:
     
    Here comes the sun, little darling,
    Here comes the sun,
    It’s all right …
     
    Da ward aus Abend und Morgen der achte Tag.

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