Im Himmel ist die Hölle los

Gleichnis fortzusetzen, verdampft; und als sie der Schlange in die Augen blickte und sich auszudenken versuchte, was sie als nächstes sagen sollte, wurde ihr durch irgend etwas klar, daß ihr bis zum Ziel noch ein langer und anstrengender Weg bevorstand.
    »Vielleicht wäre das wirklich am besten«, stimmte sie in friedlichem Ton zu. »Vielen Dank, daß Sie sich die Zeit genommen haben.« Sie stand auf, nahm ihre Handtasche und verließ das Büro.
    Als sie gerade ihren Schreibtisch räumte, klingelte das Telefon.
    »Das hätten Sie nicht tun sollen«, warf ihr Gängers Stimme vor, die merkwürdig vergnügt klang. »Das war ganz und gar nicht klug.«
    »Ich glaube, Sie haben recht«, pflichtete ihm Jane bei. »Wer ist eigentlich dieser Mann im Restaurant gewesen?«
    Die Leitung schien zu erstarren. »Das war Rocky«, antwortete Gänger, und seine Stimme klang, als spräche er durch zwei Kissenbezüge und einen Strumpf. »Den hätten Sie eigentlich auch nicht treffen sollen.«
    »Er hatte aber offensichtlich damit gerechnet, mir zu begegnen«, wandte Jane ein.
    »Ich weiß. Egal, daran können wir jetzt auch nichts mehr ändern. Kommen Sie morgen um halb neun zu mir, dann unterhalten wir uns. Ach, übrigens noch was.«
    »Ja?«
    »Sie machen das einfach großartig. Vertrauen Sie mir.« Gänger lächelte Jane ins Ohr und legte auf.

 
     
    Der Himmel ist hier sehr hoch. An den meisten Orten ist der Himmel lediglich, nun ja, eben hoch; eine Art blaues Zelt, das den Sternen das Eindringen und der Luft den Austritt verwehrt. Hier ist das anders. Hier befindet sich der Himmel derart weit über dem Meeresspiegel, daß die Existenz des Erdbodens wenig mehr als ein haltloses Gerücht ist. Eine Burg gibt es hier auch.
    Eine riesige verschnörkelte Ludwig-von-Bayern-Sonderanfertigung, bei der weder Kosten noch Mühen gescheut wurden. Und diese Burg schwebt wankend hin und her, wie ein Ballon, dem man auf nüchternen Magen Sherry eingeflößt hat, und wird von nichts anderem in der Luft gehalten als von dem Gedanken, welch verheerenden Auswirkungen es hätte, sollte sie jemals zu schweben aufhören und mit dem Boden in Berührung kommen.
    Wenn es zwischen der Schwerkraft und dem sozialen Gewissen zu einem Kampf mit bloßen Fäusten kommt, dann verliert die Schwerkraft.
    Nähert man sich der Burg, wobei man sich vorsichtig einen Weg durch die Thermik sucht und darauf achtet, keinem in großer Höhe fliegenden Vogel auf den Kopf zu treten, kann man Fetzen eines eigenartigen und verwirrenden Geräuschs hören, das von den halbwilden Winden, die sich in den größeren Höhen verborgen halten, zu einem herübergetragen wird. Aus dieser Entfernung und in Anbetracht der gespenstischen Verfälschung durch den Wind sowie des akustischen Dopplereffekts könnte man fast glauben, daß man mehrere tausend Menschen die unzusammenhängenden Bruchstücke einer nicht ganz unbekannten Melodie – falsch und zu tief – pfeifen hört.
    Willkommen auf der Burg in den Lüften, dem Hauptquartier der Abteilung für Omen und Auspizien! Bei den Männern, die sich im Burghof in zentimetergenauen Reihen aufgestellt haben, handelt es sich um Boten, die sich noch in der Ausbildung befinden. Haben sie erst einmal ausgelernt, werden sie ihr Berufsleben damit verbringen, Träume, unheimliche Rückblenden, Déjà-vu-Erlebnisse und ähnliche Botschaften zu überbringen. Im Moment werden sie gerade in der äußerst schwierigen Kunst unterrichtet, die unverwechselbaren Klänge hervorzubringen, die man als das Pfeifen von Briefträgern kennt.
    Sofern man ganz genau hinsieht, entdeckt man eine kleine Gestalt, die die blau-goldene Uniform der Abteilung trägt und sehr viel längere Haare als die übrigen Anwesenden hat. Kann man seine Ohren irgendwie dazu zwingen, den allgemeinen Mißklang zu überhören, wird man feststellen, daß die besagte Person ohne einen falschen Ton oder plötzliche und störende Pausen trotzig eine Melodie pfeift, bei der es sich unverkennbar um ›Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band‹ handelt.
    Raten Sie mal, um wen es sich dabei handelt.
     
    »So dürfen Sie sich aber nicht darüber äußern«, ermahnte Gänger Jane, als sie die Zufahrt zur Burg hinauftrotteten. »Das klingt doch alles sehr negativ.«
    »Ach, wirklich?« entgegnete Jane gereizt. Sie hätte sich noch ausführlicher dazu geäußert, aber die Steigung war groß, und ihre Knie fühlten sich allmählich so an, als hätte ihr irgendein Spaßvogel die Muskeln