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Im Hyperraum

Titel: Im Hyperraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey A. Carver
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sah sie immer noch das Bild, das Windrush ihr kurz zuvor
übermittelt hatte: Ein Drache, den ein Zauber in einer steinernen
Kammer gefangen hielt; er war dort eingekerkert, ohne auf Gnade hoffen
zu dürfen, ohne Aussicht auf Flucht. Bei diesem grausigen Anblick
blutete ihr Herz.
    Ahh!, seufzte Windrush verzweifelt. Hat
er dir nicht erzählt, womit er sich beschäftigte? Und welchen Preis er
dafür zahlte? Weißt du denn nichts von der Prophezeiung?
    Was?, hauchte Jael. Dann erinnerte sie sich wieder. Highwing hatte einige
Male einen bekümmerten, sorgenvollen Eindruck gemacht. Er hatte eine
Weissagung erwähnt und ihr erzählt, er wolle irgendetwas unternehmen,
was immer das sein mochte. Seine Worte hatten sie verstört, doch damals
war sie mit ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen, hatte nicht
verstanden, was Highwing meinte, und dann diesen Vorfall vergessen –
wie sie seine Warnung vergessen hatte, sie solle sich vor den anderen
Drachen in Acht nehmen. Sie entsann sich an Highwings kurzen Streit mit
einem erzürnten Drachen in seinem Garten, und dann fiel ihr jenes
Geschöpf ein, dass er ›Iffling‹ nannte, und das gleichfalls in Rätseln
gesprochen hatte – Worte, die sie, Jael, betrafen, und die Highwing mit
Sorgen zu erfüllen schienen.
    Windrush blickte zu Ar hin, der mit Gesten bedeutete, er verlange eine Erklärung. Möchtest du auch Bescheid wissen? Möchtest du es sehen?
    Pfeifend blies Ar den Atem aus. Ja.
    Wenn das so ist, warnte der Drache ihn, wenn
du Einsichten gewinnen möchtest, musst du mir als Gegenleistung die
Natur deiner Seele offenbaren. Ich will deinen Charakter prüfen. Windrush legte eine Pause ein. Auch ich verletze jetzt ein Tabu. In seinen Augen glommen feurige, grüne Funken. Doch
indem mein Vater gegen Regeln verstieß, entdeckte er eine Wahrheit, die
ich nicht ignorieren darf. Wenn du sagst, dass du Jaels Verpflichtung
anerkennst …
    Schau in meine Seele und bilde dir ein Urteil über mich, forderte Ar ihn ungeduldig auf.
    Windrush
verstummte. Ar trat vor, um dem Blick des Drachen zu begegnen, und
erstarrte sogleich in einer Trance. Jael, der schrecklich viele Fragen
auf der Zunge lagen, blieb nichts anderes übrig, als schweigend
zuzusehen. Nach einer halben Ewigkeit merkte sie, dass Ar sich von den
hypnotischen Blicken des Drachen löste. Als er sich abwandte, machte er
einen bestürzten Eindruck. Er sagte nichts, er setzte sich vor das
Feuer und verfiel in Grübeln.
    Erzähl mir, was deinem Vater zugestoßen ist, bat Jael. Lebt er noch?
    Man hat ihn eingekerkert, wie ich es dir gezeigt habe.
    Aber warum nur?, flüsterte sie. Was hat er getan, dass er so bestraft wird?
    Der Drache blies Dampfwolken aus. Wie
soll ich dir erklären, was du bereits gesehen hast? Wie soll ich die
schreckliche Finsternis erklären, die diese Berge heimgesucht hat? Der Drache stöhnte tief in seiner Kehle, und das Grollen pflanzte sich durch den steinernen Boden fort. Wie soll ich einen Flach beschreiben, der die Seelen meiner Artgenossen so vergiftet hat – vor Schmerz hob sich seine Stimme – dass
ich selbst ein Ausgestoßener wurde, geächtet sogar von meinen Brüdern?
Wie soll ich die Freundlichkeit meines Vaters einem menschlichen Rigger
gegenüber erklären, ein Verhalten, das ich respektieren muss, weil er
mich darum bat? Ich selbst verstehe diese Dinge ja kaum! Er seufzte tief, und ein starker, melancholisch klingender Windstoß wehte aus seinem Maul. Besitzen die Worte der Überlieferung denn so viel Macht?
    Jael war zumute, als würden die Ausführungen des Drachen Spinnweben in ihrem Kopf verbreiten. Worte der Überlieferung? Zwar hatte Highwing von solchen Dingen gesprochen, aber er hatte sie ihr niemals erklärt. Du redest von einem Fluch?
    Ein
Funkenschauer sprühte ihr ins Gesicht, und einen erschreckenden
Augenblick lang befürchtete sie, der Drache wolle sie angreifen. Es
ist ein Fluch – ja! Wie sollte man es sonst nennen? Es ist nicht nur
eine große Macht, es ist eine Fäulnis, ein Mehltau, der sich seit
deinem Abschied über unser Land gelegt hat!
    Aber es ist nicht meine Schuld!, schrie Jael; ihr Kopf summte vor Groll und Verwirrung. Sie fühlte sich
deprimiert, und sie hatte ein schlechtes Gewissen, obwohl sie nicht
wusste, was sie verkehrt gemacht hatte.
    Geräuschvoll scharrte der Drache mit seinen Krallen über den Steinboden.

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