Im Informationszeitalter
ist jeweils verschiedenes Mischverhältnis von politischer Philosophie und Erzählung. Die Engagierte SF lebt vielfach ebenso von philosophischen Ideen, die aber durch den Charakter der Erzählung viel stärker abstrahiert werden. Hier ergeben sich durchaus Anknüpfungspunkte an die utopische Tradition, auch wenn SF viel stärker als die Utopie an die Spielregeln der Gattung (diese werden in 2.4. kurz zusammengefaßt) gebunden sind. Wie der “Krimi” ist auch die SF im Hinblick auf ihre Motive eine Variationsgattung. Somit muß der SF-Autor nicht nur die gesellschaftlichen Zustände analysieren und sie in einem fiktiven Rahmen kritisieren oder optimieren, er muß auch - um mit Amery zu sprechen - die richtige “Attitüde” 31 entwickeln. Obwohl die SF als Gattung des Veränderungsdenkens gilt, hat der SF-Autor andere Tribute an die Gattung zu entrichten, als der Utopist an seine.
Der Soziologe Schwonke hat einen großen Teil dazu beigetragen, in der Forschung die Bindung zwischen SF und der Utopie zu festigen. Ihm zufolge geht es bei der Fortsetzung der Utopie in der SF nicht um das Fortleben der literarischen Utopietradition, sondern um das Weitergeben des utopischen Denkens 32 , das in der Gegenwart sich auf neue Dimensionen ausweiten muß. Das utopische Denken lebt sicher noch in der SF-“Attitüde” weiter, denn die meisten Autoren müssen immer noch ihre Helden in eine soziale Ordnung (der Zukunft) plazieren. Leider zeigt diese allzu häufig feudalistische Züge (beispielsweise in “Der Wüstenplanet” von Frank Herbert), man muß unterstellen, der Einfachheit halber - aber auch, um den Protagonisten (und den Leser) einen rapiden sozialen Aufstieg erleben zu lassen.
Platon versuchte in der “Politeia” die Gestalt der Idealstruktur einer Gesellschaft zu entwerfen, die allein von sittlichen Normen der Einsicht in die Vernunft bestimmt war. Sein Modell war über die Wirklichkeit gestellt als Norm, nach der man sich richten kann, die sich aber nicht verwirklichen läßt. Das Denken, das sich nach der Zukunft orientiert, ist einer Zeit fern, die von einem festgefügten Weltbild ausgeht. Plato wird somit zum Begründer der statischen Utopie, wie sie sich bis in die heutige Zeit tradiert hat. Der Entwurf des idealen Staates 33 , der bei Thomas Morus noch Gegenstand ernstzunehmender Überlegungen war, ist nicht mehr zeitgemäß; der Glaube an einen allgemeingültigen Gesellschaftsentwurf (wie das Beispiel des kommunistischen Niedergangs zeigt) hat in neuester Zeit wenig Wert, da feste Definitionen viel zu schnell von der Wirklichkeit überholt werden. Utopien müssen sich zu dynamischen Systemen wandeln.
Engagierte SF beschreibt - wenn die Ordnung nicht nur für den Hintergrund der Handlung konstruiert wird - in den seltensten Fällen ein statisches System; das perfekte statische System ist vielleicht ein Endziel der Handlung (zum Beispiel die Schöpfung einer vollkommen glücklichen Gesellschaft in Lems “Kyberiade”). Viel häufiger dagegen werden Ordnungen (Gesellschaften, Galaxien, usw.) in ein Ungleichgewicht gebracht, das entweder in den Untergang führt, das eine Metamorphose einleitet oder das zu einer Restabilisierung führt.
In der Entwicklung der SF nimmt die Bedeutung von Gesellschaftsordnungen zu: Asimov unterteilt die Geschichte der SF (unter Ausgrenzung des deutschen Raumes) in drei Perioden: die “abenteuer - dominante” Periode bis 1938, die “wissenschaftlich-dominante” Periode bis 1950 und die “soziologisch-dominante” Periode ab 1950 (Schulz 1987, S. 119). Diese letzte Periode setzte nach dem II. Weltkrieg ein und fügte Themen aus der Anthropologie, Psychologie und Soziologie in das Genre ein. Parallel zu Asimov unterteilt Krysmanski die SF in verschiedene Etappen speziell in bezug zu dem deutschsprachigen Raum: bis ca. 1910 stand die “soziale Frage” im Vordergrund; die technische Problematik blieb bis zum Ende der dreißiger Jahre aktuell und ab 1940 wurden die Möglichkeiten einer globalen Industriegemeinschaft erkundet. (Krysmanski 1963, S. 108) Neben dem Schrecken des Totalitarismus waren nach Krysmanski in erster Linie der Atomkrieg Gegenstand des deutschen “utopischen Romans”, der deutschen SF (leider geht Krysmanskis Untersuchung nur bis 1963 und kann die sich anschließende Blüte der SF in den siebziger Jahren nicht miteinbeziehen).
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es übertrieben ist, mit Schwonke die SF direkt in die utopische
Tradition zu
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