Im Informationszeitalter
einer Gesellschafts- zu einer Weltperspektive (und darüber hinaus) 13 . “Die jetztige totale Wendung bedeutet, daß der Mensch nicht mehr von seinem Standpunkt aus handeln kann, sondern von den Grenzen unserer Erde ausgehend denken und handeln muß. Wir nennen diese radikale Umkehr die
Planetarische Wende .” (Gruhl in: Apel, Karl-Otto;
Böhler, Dietrich; Berlich, Alfred 1980, S. 453). Mit dem Eintritt in das Atomzeitalter hat der Mensch die Verfügungsgewalt über den Planeten erhalten; er kann damit entscheiden, ob die menschliche Geschichte weitergeht oder an einem Punkt für immer beendet wird. Dieser Umstand macht Prognosen über die Zukunft geradezu lebensnotwendig, denn das Bewußtsein um das Ausmaß einer solchen Verantwortung ist noch gering.
In diesem Zusammenhang übernimmt die SF einen weiten Bereich der Utopie-Tradition; diese wird sogar noch ergänzt durch das Spiel, das die Möglichkeit eröffnet, auch falsche Hypothesen als Ausgangspunkt nehmen zu können. Gottwald verwehrt sich gegen diese These mit der Begründung, daß sich Aspekte des Spiels und des Engagements umgekehrt proportional zueinander verhalten.
“Beide Definitionen (Hiengers und Suvins, AA.) beziehen lediglich zwei entgegengesetzte Pole des gesamten, sehr breiten Spektrums der SF-Literatur: engagierte, pädagogisch motivierte SF auf der einen und spielerische, nicht erzieherische auf der anderen Seite.” (Gottwald 1990, S. 24/25)
Als Beispiel dafür zieht sie unter anderem auch Carl Amery heran, bei dem doch gerade Engagement und spielerische Vielfalt einander bedingen. Gerade im gekonnten Spiel mit Alternativen zeigt sich eine kritische Potenz, die einem Engagement entspricht. Das Gegenbeispiel soll durch die spielerisch hochverdichteten Texte von Lem erbracht werden (vgl.: 4. und 6. ) Lem unterscheidet (semantisch) leere und sinnvolle Spiele. Die leeren Spiele beschränken sich auf eine innere Semantik (wie ein Schachspiel);
leere Spiele 14 können folglich nur in einem sehr abstrahierten Rahmen entstehen. “Das literarische Spiel wird besonders dadurch kompliziert, daß sich seine Regeln in mehrere Richtungen zugleich semantisch (aufzeigend) orientieren können.” (Lem in: Quarber Merkur 1979. S. 18)
Märchen, obwohl mit einer eigenen Regelwelt versehen, wären nicht interessant, gäbe es nicht eine Relation zur wirklichen Welt; um diese entdecken zu können, muß man allerdings zunächst zulassen, daß im Märchen Wunder geschehen können, ebenso, wie man sich in der SF auf den phantastischen Rahmen einlassen muß.
Die Möglichkeit eines “leeren Spiels”, die ein literarisches Kunstwerk mechanistisch wie ein Schachspiel beschreibt, ist lediglich eine theoretische Möglichkeit, da immer Begriffe und Worte benutzt werden, die eine Referenz im Erfahrbaren haben. Wenn das Wort “Krieg” benutzt wird, muß man davon ausgehen,daß es zu Kampfhandlungen kommt - außer es ist Ziel der Erzählung, dem Wort eine neue Bedeutung zu geben.
“Geht man davon aus, daß sich in der Literatur die Abbilder gesellschaftlicher Verhältnisse sedimentieren, der Grad des Wissens oder Nicht-Wissens über Gesellschaft zum Ausdruck kommt, dann können vorherrschende wie auch unterschwellige Inhalte der Literatur auch als Indiz gelten.” (Lück 1977, S. 325)
Da es zum Wesen der SF gehört, mit den Grenzen der Gattung spielerisch umzugehen, dürfte die Feststellung Barmeyers immer noch Relevanz haben: “Bisher kann noch keine SF - Definition Anspruch darauf erheben, dem monströsen Gegenstand in seiner ganzen Ausdehnung kritisch - präzise gerecht zu werden.” (Barmeyer 1972, S. 7) Dennoch sollte dieser Exkurs zumindest die Konturen, soweit sie diese Arbeit betreffen, umreißen.
2.2. Fiktive Geschichte: Was wäre (geschehen), wenn…?
Im vorherigen Kapitel ist von den Möglichkeiten der SF die Rede, so kann der folgende Exkurs über “Fiktive Geschichte” nur lose angefügt werden: “Fiktive Geschichte” bezieht sich eigentlich auf einen neueren Ansatz der historischen Wissenschaften. Da Amerys Methode sich auf die Konstruktion von “alternative time-streams” (Amery-Interview 1995, S. 2) bezieht, ist dieser Exkurs nötig geworden. “Nebenbei: ein solcher ‘Was-wäre-wenn’-Stoff trägt im SF-Gewerbe den Gattungstitel ‘ParallelweltRoman.” (Amery 1991, S. 282) Von allen spekulativen Stoffen hält Amery diesen für den “wissenschaftlichsten”. Die typischen Motive der SF (Zeitreise, Parallelwelten) rücken in den
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