Im Informationszeitalter
“Anleihen” vorwiegend auf bekannte keltische Sagenkomplexe zurückgreifen: “Ich sehe meine
Traditionen eher im westlichen Bereich, also im nordwestlichen keltischen Bereich…” (Amery-Interview 1995, S. 4) Das mythologische Element ist somit auf einen Kern eingegrenzt.
In “Kyberiade” gibt Lem den technischen Zauberern Trurl und Klapauzius unbegrenzte Möglichkeiten in einer Welt, die voller “Wunder” ist; damit lehnt er sich nicht an einen bestimmten Sagenkreis mit einer festgelegten Referenz an, sondern er nutzt in kindlicher Verspieltheit fast alle Mittel des Märchens zur Darstellung des Wunderbaren (z. B. Ritter, Hexen, fremde Königreiche) in einer Weise, die stark an die eingangs erwähnten Spiele der Kindheit erinnern. Die Abneigung vor dem Historischen läßt sich in diesem Zusammenhang durch die Ambivalenz der Zukunft erklären, die zwar Gefahren birgt, die aber auch das Versprechen ungeheurer Veränderungen beinhaltet, die als faszinierende Möglichkeiten erkannt werden. In diesem Sinn sind die Werke Amery s viel stärker als “cautionary tales” konzipiert, denn er entdeckt die Versprechen der Zukunft als Fehleinschätzungen. Für ihn wäre es kaum eine befriedigende Lösung (wie in Millers Roman) einen Teil der Menschheit im All siedeln zu lassen.
Lem dagegen ist auf die Zukunft konzentriert; dafür sprechen seine Werke, aber auch sein privates Engagement, beispielsweise in der Mitbegründung der polnischen Gesellschaft für Astronautik. Er erkennt die Bedeutung der Geschichte für die Interpretation der Gegenwart an, interessiert sich aber weniger für die antizipierbaren historischen Tendenzen. Die Zukunft selbst lockt ihn als das Versprechen ungeheurer Veränderungen, in denen beispielsweise die (fehlerhafte) biologische Evolution durch eine technische ersetzt wird. Diese hochfliegenden Hoffnungen werden durch Lems Skepsis und die Gebundenheit an existierende Wissenschaft revidiert.
In den nächsten beiden Kapiteln soll vor allem die in den Texten verborgene Beschreibung der Wirklichkeit bezogen auf eine Kulturkritik thematisiert werden; die Deutung und die Konsequenz der Deutung ist Gegenstand des Kapitels 7. 4. .
Nach Lem konzentrieren sich die Ursachen des Zerfalls von Zivilisationsnormen in zwei Phasen: Das erste Moment ist der Verlust von “Sakralität” in der modernen Gesellschaft - eine erstaunliche Äußerung, wenn man bedenkt, daß er sich zum Atheismus bekennt: “Mir scheint, daß die Verflüchtigung des Sacrum aus dem Geistesleben nur einer der Faktoren ist, diese liquidatorischen Bemühungen zu erwirken…” (Lem 1986, S. 264). Ziel dieses Kapitel ist es, das unterschiedliche Verständnis des “Sacrums”, das bei beiden Autoren eine wichtige Position als kulturstabilisierender Faktor einnimmt, genauer zu analysieren.
Das zweite Moment knüpft an das erste insofern an, als daß es das Vakuum beschreibt, das durch den Verlust des Sacrums entsteht: “Wenn aber dieser Zuwachs anhält, wird es immer schwieriger, höchste Autoritäten oder Leute zu finden, die auf einem Gebiet alles über dieses’ wissen!” (Lem 1986, S. 256/266). Die höchste Autorität der Interpretation der Welt lag lange Zeit in den Händen der Kirche - die diese Macht nicht selten mißbrauchte. Dennoch ist durch den Verlust des Sakralen eine Orientierungshilfe verlorengegangen, deren Abwesenheit durch die zunehmende Komplexität der Moderne immer offensichtlicher wird. Die Frage nach dem Sinn der Existenz ist noch nicht beantwortet.
Lem hat seinen Glauben auf die Wissenschaft der Kybernetik verlagert:
“Die Kybernetik stellt Lem zufolge die Menschlichkeit des Menschen wieder her, seine Würde, seinen Wert in der Welt ohne Rückgriff auf das Übernatürliche. Der Glaube an die Seele ist eine schimpfliche Kapitulation des Intellekts.” (Kandel in: Barmeyer 1972 S. 314; vgl. auch: Lem 1981 c, S. 302)
In seiner Suche nach dem Absoluten ähnelt der “literarische Konstrukteur” Lem selbst Trurl in “Kyberiade” 28 . Ein wesentlicher Unterschied ist, daß Trurl bereits den Beweis für die Endlichkeit des Universums in der Nachricht von seinem eigenen Ruhm hat, die den Kosmos umrundet. Entgegen der Interpretation Kandels lehnt Lem die Existenz einer “Seele” im oben genannten Sinne einer “entwickelten Persönlichkeit” durchaus nicht ab; der Vorstellung von Gott als “gutem Vater”, der seine “Kinder” nach der Reinheit ihrer Seelen beurteilt, steht er dagegen
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