Im Informationszeitalter
interpretiert werden, denn Verstöße gegen eine Ethik wären nicht möglich. Die Fähigkeit, “Böses” zu tun, wäre dem Menschen schlichtweg genommen. Die Frage nach dem positiven oder negativen Utopismus kann nicht mehr beantwortet werden; statt dessen gilt die Frage nach dem “denkbaren Utopismus”: “Das gesamte utopische Denken - hier subsumiert Lem auch den Marxismus - baue auf einem irrealen Menschenbild auf, das Verantwortlichkeit, Weisheit und Vernunft stillschweigend voraussetze.” (Hennings 1983, S. 61). Zwischen dem Paradies und der Hölle auf Erden sucht Lem quasi im Experiment eine denkbare Lösung, die im bestmöglichen Falle auf Prinzipien der Vernunft basiert. Da er sich deren Fehlerhaftigkeit aber durchaus bewußt ist, sind die Darstellungen in den besprochenen Werken (wie auch bei Amery) vorwiegend ironisierend.
In seiner “dritten Phase” wandelt sich das “Gottesbild” Lems: “Gott würfelt nicht mit der Welt, sondern er spielt auch ehrlich - mit vollkommen identischen Würfeln -, allerdings nur in der kleinsten Größenordnung, der atomaren.” (Lem 1983 b, S. 23). Gott, ein Begriff, den Lem häufig braucht, zu dem er sich aber nicht bekennt, wird in die Lemsche Spieltheorie integriert. Sila bemerkt zu diesem Würfelspiel: “Lem stellt sich also anscheinend auf die Seite der Probabilisten und gibt den Deterministen unrecht, die mit Einstein erklären: ich weigere mich zu glauben, daß Gott mit dem Universum Würfel spielt.” (Sila in: Berthel 1981, S. 57). Für Lem ist die Existenz an sich ein Spiel, entweder im Rahmen eines Spieles mächtiger kosmischer Spieler, oder als blindes Spiel des Universums. Seiner Ansicht nach läßt sich mit der Hilfe der Spieltheorie
“im Grunde jede Art von Verrichtung untersuchen. … Faßt man nun die Philosophie und Theologie als Spiel auf, dann zeigt sich, daß sie in logischer Hinsicht homogen sind. Es geht bei ihnen um dasselbe: um die Entdeckung der Regeln des Spiels ums Dasein, zu dem die Welt auffordert und ferner um die Bestimmung der optimalen Strategie ihnen gegenüber.” (Lem 1981 b, S. 79).
Als Strategie der Religion bezeichnet Lem die Erlösung, während die der Philosophie die Erkenntnis ist. Diese Unterteilung ist insofern willkürlich, als daß es auch in der Religion keine Erlösung ohne Erkenntnis gibt, denn die Theologie muß nicht auf dogmatische Überlegungen konzentriert sein, wie Lem behauptet: “Wenn nämlich ein Glaube dogmatisch die Unausweichlichkeit des Konfliktes zwischen Mensch und Welt leugnet … dann drängt dieses Dogma de facto zu einem anderen Spiel …” (Lem 1981 b, S. 79, 80). Amery beispielsweise läßt sich in seinen theologischen Überlegungen nicht durch Dogmen hindern: “… wenn die Attitüde der katholischen Überzeugung mich daran hindert, ein möglichst vollständiges Bild von meiner Lage in Zeit und Raum zu erlangen, geht es mich nichts an.” (Amery-Interview 1995, S. 10). Damit hält er sich frei, seine katholische Überzeugung und seine Erkenntnisfähigkeit zu verbinden, ohne daß sie sich gegenseitig behindern. Viele moderne Schriftsteller, die den Naturwissenschaften kritisch gegenüberstehen,
523
stimmen darin überein, daß eine technische Gesellschaft auch eine deterministische ist; dadurch werden allerdings auch die Alternativen, die sie anzubieten haben, eingeschränkt. Erweitert sich auch Amerys Perspektive von der klerikalen zur Weltperspektive, so sieht er doch die Möglichkeiten, die sich der Menschheit bieten, immer eingegrenzter; entscheidet sie sich nicht für das Leben, geht sie der Katastrophe entgegen. Für die Kirche ist das Ende der Welt ein konstitutives Element der Lehre, das sie schon von Beginn an für sich beanspruchte; aus diesem Grunde sind ihr Schriftsteller wie Amery unbequem. “Es war ein Herrschaftsprinzip der Römischen Kirche, alle ihre Visionäre unter ihre Kontrolle zu bringen. Visionen der Zukunft erforderten zu ihrer Verkündung, wie noch das 5. Laterankonzil (1512 bis 1517) beschloß, eine kirchliche Autorisation.” (Kossellek 1979, S. 23). Solange das Ende der Zeit von der Kirche “verwaltet” wurde, blieb die Geschichte der Kirche die Geschichte des Heils. “Diese Tradition wurde durch die Reformation in ihrer inneren Voraussetzung zerstört.” (Kossellek 1979, S. 23) 33 . Amery versucht die Verbindung zwischen einer kritischen religiösen Überzeugung und einem politischen Engagement wieder herzustellen. Unter dem bereits besprochenen
Weitere Kostenlose Bücher