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Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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skeptisch gegenüber. Religiöse Fragestellungen nehmen einen großen Raum in den Werken Lems ein. Die “Summa technologiae ” ist eine Anlehnung an “Summa theologiae” von Thomas von Aquin, der die Seele beredt verteidigt. Lems “Summa technologiae” ist nicht als Satire, sondern als atheistische Antwort auf Thomas von Aquin zu verstehen.
    Die einzige Art von Gott, die Lem als existenzialistischer Denker akzeptieren kann, ist ein Gott, der ohne Zweck und Ziel existiert 29 . “This God
    offers an effective response to Sartre’ s dilemma about man’s spirituality. Sartre denied the traditional God.” (Ziegfeld 1985, S. 54). Statt an Gott glaubt Lem an die Existenz einer absoluten “Wahrheit” als ultimativem Wert. Um die Wahrheit konsequent zu suchen, bedarf es einer Gläubigkeit, die die Differenz von Amery und Lem in diesem Punkt schwinden läßt: beide handeln aus ihrer Überzeugung heraus, wobei der eine Glaube feste Richtlinien (beispielsweise die christliche Nächstenliebe) hat, der andere frei und suchend ist. Die Suche Lems orientiert sich an einer Maxime: den Glauben an die Vernunft, verbunden mit einem inhärenten moralischen Anspruch: “Es gibt schließlich keinen Grund dafür, warum diese Vernunft nicht ein -sagen wir - Sendungsbewußtsein habe sollte.” (Lem 1986, S. 127). Eine Erklärung für das Konzept altruistischer Vernunft muß Lem allerdings schuldig bleiben 30 . In “Experimenta Felicitologica” versucht Trurl eine Begründung ex negativo, es sei sinnlos, Leiden zu produzieren, daher ist Gutes tun sinnvoll (Kyberiade, S. 129). An welchem Maßstab das Sinnvolle gemessen wird, bleibt ungenannt. Lem wählt eine Alternative zu der Art Atheismus, wie Sartre 31 ihn beispielsweise vertritt: er bezieht sich zur Zeit der Publikation der “Kyberiade” auf die Idee des unvollkommenen Gottes 32 . Die Existenz eines Sinnes, der in diesen Gott hineinprojeziert wird, ist auf die menschliche Eigenschaft zurückzuführen, daß Sinnleere nur schwer zu verstehen und zu ertragen ist. Marzin beschreibt in diesem Zusammenhang die Gläubigkeit Lems so:
    “Irgendwo weit weg im Kosmos ist jemand - vielleicht Gott -, der die Lösung für alle Rätsel bereithält, doch Lem ist nicht bereit, ihm zu begegnen, und beläßt den Menschen in einer eigenartigen Art von erzwungener Nabelschau.” (Marzin in: Marzin 1985, S. 53)
    Damit entlarvt er ihn treffend als nicht-bekennenden Agnostiker, der auch auf dem Höhepunkt von Erzählung Antworten schuldig bleiben muß, wie die, auf die er in “ Kyberiade ” selbst hinweist: Die Frage nach der Existenz von Glück in seiner seltsamen Abhängigkeit vom Leiden. Worin besteht der Sinn der Existenz, wenn das absolute Glück eine Unmöglichkeit ist? Alleiniger Fixpunkt ist das Bedürfnis Lems nach einer durch Ethik geordneten Welt, in der auch das Christentum seinen Platz hat. Dahinter stehen zum einen
    “positive Erfahrungen mit dem Christentum und seinem Moralkodex, zum anderen negative Erfahrungen mit dem Marxismus ebenso wie mit der Konsumkultur: beides Systeme die der externalisierten Steuerung bedürfen. Lem wollte versteckt in seiner visionären Technik davor warnen, daß die das Über-Ich steuernden Kräfte der Institutionen aus dem Gefüge der religiösen Weltanschauung hinausgelagert und verweltlicht würden.” (Hennings 1983, S. 80)
    Wie Amery erkennt Lem den Wert der “wunderbaren alten Werkzeuge” der christlichen Religion als internalisierte ethische Steuerung. Modelle der externalisierten Steuerung hat er selbst immer wieder ad absurdum geführt, in “Kyberiade” aus der Sicht des Schöpfers, der vergeblich versucht das Glück zu institutionalisieren, im “Kongreß” aus der Sicht des chemisch versklavten Subjekts. Der Kontrast zwischen der Wünschbarkeit und der Denkbarkeit von Zukunftsvisionen läßt sich so verdeutlichen, daß eine internalisierte Steuerung (durch das Christentum oder -für Lem - durch die Vernunft) wünschbar ist, die Möglichkeit einer “physikalischen Ethik” aber so sehr im Bereich des Denkbaren ist, daß man sich ihr stellen muß. Seine Extremvision externalisierter Ethik ist die in 6.3. bereits erwähnte “Ethosphäre”, die künstliche Umwelt, in der die Gebote die Gestalt von physikalischen Gesetzen bekommen; diese Gebote sollen nach Lem in einer solchen Gesellschaft so selbstverständlich werden wie heute die Gesetze der Schwerkraft. Die Freiheit des Individuums müßte in einer derart gestalteten Umwelt anders

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