Im Informationszeitalter
angepriesene und uns empfohlene Unterhaltung geht: als ob das menschliche Leben erst, wenn es gut unterhalten wird, einen Wert bekommen sollte! Ich denke dabei an den politischen Bereich. Das Internet ist, ich sage das aus Vorsicht lapidar, eine Art Kommunikation, in der sich die EMPFÄNGER der Information einfacher als die Absender, die die Information verschicken, identifizieren lassen. Anders gesagt, das Internet erlaubt heutzutage die Bewahrung der Anonymität der Absender, und im Politikbereich kann dieser Unterschied einen Unterschied zwischen Frieden und Krieg bedeuten. Doch solche Versuchungen sind zum Glück bislang keine Realität geworden. Noch wurde nichts derart Schlimmes in den globalen Kommunikationsnetzen in Gang gesetzt. Doch allein schon die Möglichkeit ist bedrohlich, weil vor allem in der internationalen Politik de facto eine wirksame Legislative und Exekutive fehlt. Die UNO ist eine Vogelscheuche, wenn wir auf die Resultate im ehemaligen Jugoslawien, im Kaukasus oder anderswo schauen. Staaten werden sich anonym eher schaden, anstatt sich nicht anonym zu helfen und zu unterstützen. Das sind Zeichen vom Typ eines Menetekel, die auf die Mauern unserer Tempel gemalt werden und nicht nur einmal in der Geschichte und in der Gegenwart ihre grausame Ähnlichkeit mit den Mauern von Sodoma gezeigt haben.
Geschrieben im März 96
Der Verstand als Steuermann
Stanislaw Lem 12.11.1998
Überlegungen zum Stand der Cerebromatik
Gegen die Welle der allgemeinen Begeisterung über das Internet habe ich auch immer die Gefahren thematisiert, die durch globale Computernetze entstehen. Ich glaube, daß diese Ermahnungen und Warnungen einstweilen reichen, und kann nur hinzufügen, daß aus der Weltpresse ein Chor beunruhigter, sogar panikartiger Stimmen von Institutionen und Personen zu hören sind, die über gesetzlich garantierte Veröffentlichungsrechte verfügen, weil zur Zeit jeder ein beliebiges Buch, Musikstück oder ein anderes kreatives Produkt in das Weltnetz so einspeisen kann, daß jeder Netzbenutzer das Werk kostenlos nutzen könnte. Man bezahlt lediglich die Verbindung mit dem Internet und nicht das, was uns mitgeteilt werden kann.
Momentan sieht man keine größeren Gefahren, aber Folgen des Internet können überraschend auftreten, wie dies überall da der Fall sein kann, wo es aktive Menschen gibt und eine unbegrenzte Freiheit herrscht. Andererseits hat sich bereits herausgestellt, daß etwa Pornographieverbote sofort unerwünschte Probleme entstehen lassen, weil z.B. viele Werke berühmter Maler menschliche - nicht nur weibliche - Nacktheit zeigen. Wenn man das Verbot zu ernsthaft befolgt, könnte man sogar die Bibel für ein Werk halten, das in potentia Abbildungen mit pornographischem Beigeschmack enthält. Mit einem Wort, das Problem der Abgrenzung zwischen dem, was Pornographie ist, und dem, was nicht pornographisch ist, erscheint wie ein wieder herbeigerufenes Gespenst. Im übrigen denke ich, daß man entweder zuviel oder zuwenig verbieten wird, weil es eine “graue” Zone geben muß, die für einige künstlerisch begründet und für andere schlüpfrig ist. Der Fragenkomplex der Tabuisierung ist breiter und ernster als alle Internets, Computer und Modems, weil deren Ausmaß in verschiedenen Kulturkreisen äußerst unterschiedlich ist. Für uns ist beispielsweise das für “sehr islamische” Länder eindeutige Verbot, das weibliche Gesicht zu entblößen, geradezu eine Absonderlichkeit. Zusammenstöße des technologischen Fortschritts mit den kulturellen und religiösen Traditionen halte ich daher für unvermeidlich. Bereits die Alten waren hier liberaler als viele Zeitgenossen.
In vielen nur halbwegs wissenschaftlichen Magazinen, wie dem populärwissenschaftlichen englischen Magazin NEW SCIENTIST oder dem französischen SCIENCE ET VIE, kann man in letzter Zeit oft Ankündigungen eines baldigen Einsatzes des denkenden menschlichen Gehirns finden, das einen “Kurzschluß” zwischen diesem Gehirn mit seinen Willensakten und den Effektoren in Form eines Autolenkrads, eines Flugzeugsteuers, eines Antriebs und Lenkrads eines Rollstuhls und auch Geräten, die unvergleichbar komplizierter sind, erlauben soll. Zuletzt haben sich die Japaner auch mit dem Bereich der “Kurzschlüsse” des Gehirns mit den außerkörperlichen Apparaten beschäftigt.
Man schreibt in den als Beispiel aufgeführten Zeitschriften sogar über die Möglichkeit, völlig blinde Menschen, die über ein nicht
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