Im Informationszeitalter
nicht verändern, es sei denn, daß man Augen entfernt und für diesen Eingriff mit Blindheit zahlt. Es kann also über das direkte “Gedankenlesen” mittels einer unerhörten Apparatur keine Rede sein, auch dann wenn man nur feststellen und erkennen möchte, in welcher Sprache ein Mensch denkt und in welcher er nicht viel oder gar nichts versteht.
Das Gehirn verfügt bei einem Neugeborenen über eine sprachliche Potenz, es übernimmt die Sprache, mit der es in Berührung kommt. Bis zum 3. oder 4. Lebensjahr kann man sogar drei Sprachen mit der gleichen automatischen Leichtigkeit erlernen. Später lernen wir Fremdsprachen schon mit einiger Mühe, und es wird möglich werden, Zentral- und Lokalisierungsregionen für die ursprünglich von der menschlichen Umwelt übernommene Sprache zu bestimmen und gleichzeitig zu entdecken, wo bei ihrer Anwesenheit die fremdsprachlichen Ressourcen lokalisiert sind. Es wird irgendwann möglich sein, das allgemein zu bestimmen, aber nicht heute und auch noch nicht morgen. Hingegen gibt es jedoch kein Lesen von Gedanken, weil man zu diesem Zwecke über die noch in 50 und auch in 100 Jahren unmögliche Technologie der zerebralen Architektur verfügen müßte. Dazu wäre es notwendig, das arbeitende Gehirnmodell eines Menschen bauen, in dem es elektronische Entsprechungen für seine Neuronen (ca. 14 Milliarden) und auch für die aktuell aktiven Dendriten- und Axonverbindungen mit anderen Neuronen (bis zu 200.000 pro Neuron) gibt. Doch selbst dann würden wir keine Sicherheit haben, daß dieses künstlich konstruierte Gehirn ein “Schema” darstellt, aus dem wir lesen können, was der Inhaber des “Gehirnoriginals” denkt. Im Grunde können alle iterativ verarbeitenden Computer, wenn sie ein identisches Problem lösen, durch andere ersetzt werden, denn alle sind perfekte Automaten im Sinne der “Nachkommen” der Turing-Maschine. Mit den erst krabbelnden Parallelcomputern wäre das schon schwieriger, aber ein Identitätstest läßt sich sowohl hier wie auch dort durchführen.
Die von ihren Körpern getrennten und in irgendeiner Nährflüssigkeit schwimmende Gehirne, die zum Denken fähig sein sollen, auch wenn sie nicht sinnlich mit ihrem Körper und durch die Sinne des Körpers mit der Welt verbunden sind, sind Märchen. Wenn Gehirne eine derart totale “sensorische Deprivation” erfahren und die Verbindung mit dem Rückenmark und durch das Geflecht des Plexus solaris (“Bauchhirn”) mit dem Körper getrennt wird, so werden sie in einen typischen Koma-Zustand fallen, woraus man sie höchstens vielleicht durch chemisch-elektrische Reize reißen kann, die ihnen “Bewußtseinsbrüche” in Form von merkwürdigen Träumen erzeugen. Aber diese makabre, phantastische Vision, die man in einem (schlechten) Science Fiction Roman finden kann, hat weder etwas mit dem billigen, da fiktiven Dämonismus der Gehirne gemeinsam, die zwangsweise auf dieselbe
Weise der Gedankenkontrolle und der elektronischen “Steuerung” unterworfen sind, noch mit dem umgekehrten Weg, sie “im Kurzschluß” mit den Systemen der außerkörperlichen Umgebung zu steuern. Dies könnte man nur auf eine so primitive und grobe Weise realisieren, daß es der Mühe nicht wert wäre.
Ich meine allerdings nicht, daß Menschen nicht versuchen werden, auf diesem Weg von Gehirnen zu Gehirnen vorzudringen, weil sie dazu neigen, verschiedene mehr oder weniger verrückte Dinge zu tun. Die Ergebnisse solcher Versuchungen können allerdings weder wirklich lohnend noch sozial gefährlich sein. Jemand bemerkte einmal bissig und menschenfeindlich, daß man zwar eine “synthetische Liebhaberin”, die von einer “natürlichen Frau” kaum zu unterscheiden wäre, bauen können werde, aber daß so ein Spiel der Mühe nicht wert sei, und wenn auch nur aus dem sehr trivialen Grund, daß man eine lebendige, für solche Dienstleistungen bezahlte Frau für einen hundertmillionsten Teil der Kosten einer “synthetischen Konkubine” finden kann. Im übrigen schafft die androide “Homunkulisierung” von Anfang an eine ganze Menge schwerwiegender Dilemmata als Bettprobleme, weil eine “künstliche Person” die gleichen Rechte wie eine “natürliche” Person verlangen könnte - und dann müßten sich die Gesetzgeber, Philosophen, Geistliche und Juristen ihre Köpfe zerbrechen. Dies ist jedoch eine Fiktion jenseits der aufblasbaren Puppen, die sexuellen Praktiken dienen, und nicht das Thema, dem ich mit diesen Bemerkungen dienen
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