Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
Vom Netzwerk:
oder drei Stunden zu
    schlafen.

    1. September
    Wir verließen das Haus vor Morgengrauen und trafen die Irin, mit der wir uns verabredet hatten, in einem Gehölz in der Nähe.
    Es regnete, aber Ginger gelingt es immer, ein Feuer in Gang zu bringen, so daß wir Tee kochen und ein paar Kartoffeln rösten konnten. Bei Tagesanbruch ging die Irin zur Arbeit, und Ginger und ich marschierten zu der ein oder zwei Meilen entfernten Farm von Chambers, um nach Arbeit zu fragen. Dort hatte man gerade eine Katze gehängt, etwas, wovon ich noch nie etwas gehört hatte. Der Verwalter sagte, er glaube, daß er uns Arbeit geben könne und daß wir warten sollten. Wir warteten von acht Uhr früh bis ein Uhr mittags, dann kam er wieder und erklärte,
    -42-

    er hätte doch keine Arbeit für uns. Wir gingen also wieder, nicht ohne eine große Menge Äpfel und Pflaumen gestohlen zu haben, und marschierten die Landstraße nach Maidstone weiter. Etwa um drei Uhr unterbrachen wir unsern Marsch, um das Essen zu machen und aus den Himbeeren, die wir am Tag zuvor
    gestohlen hatten, Marmelade zu kochen. Ich erinnere mich, daß man sich in zwei Häusern weigerte, mir kaltes Wasser zu geben, weil »die gnädige Frau« verboten habe, »Landstreichern etwas zu geben«. Ginger sah, daß ein Herr in einem Wagen in der
    Nähe gerade frühstückte, ging hinüber und bat ihn um
    Streichhölzer. Er sagte, es lohne sich immer, Leute beim
    Frühstück anzusprechen, weil sie meistens etwas Eßbares
    übriglassen, bevor sie weiterfahren. Tatsächlich kam der Herr mit etwas Butter zu uns, die er nicht verbraucht hatte, und knüpfte ein Gespräch an. Er war so freundlich, daß ich vergaß, meinen Cockney-Akzent aufzulegen, worauf er mich schärfer
    musterte und dann bemerkte, daß es für einen Mann wie mich doch sehr schwer sein müßte etc. etc.
    »Hoffentlich empfinden Sie es nicht als Beleidigung... würden Sie das von mir annehmen?«
    »Das« war ein Shilling, für den wir später Tabak kauften und so zum erstenmal an jenem Tag etwas zu rauchen hatten. Sonst hat uns in der ganzen Zeit nie jemand Geld geschenkt.
    Wir gingen in Richtung Maidstone weiter, aber nach ein paar Meilen begann es in Strömen zu regnen, dazu drückte mich
    mein linker Schuh entsetzlich. Ich hatte drei Tage die Schuhe nicht von den Füßen gekriegt, die letzten fünf Nächte nur etwa acht Stunden geschlafen, und ich fühlte, daß ich nicht imstande sein würde, noch eine Nacht im Freien zu verbringen.
    Wir beschlossen daher, zu dem etwa acht Meilen entfernten
    Asyl von West Mailing zu wandern und, wenn möglich, einen
    Teil des Weges per Anhalter. Ich glaube, wir versuchten es bei etwa vierzig Wagen, bevor uns einer mitnahm. Die Lkw-Fahrer nehmen heute kaum noch einen mit, da die Versicherung bei
    -43-

    einem Unfall für Anhalter nichts zahlt und die Fahrer selbst entlassen werden. Der Fahrer, der uns mitgenommen hatte,
    setzte uns etwa zwei Meilen vor dem Asyl ab, wo wir um acht Uhr abends ankamen. Draußen begegneten wir einem alten
    tauben Landstreicher, der in den strömenden Regen
    hinauswanderte, da er bereits die letzte Nacht in dem Heim geschlafen hatte und eine Woche hätte drinbleiben müssen,
    wenn er jetzt wieder zurückging. Er erzählte uns, daß es in der Farm von Biest, in der Nähe, wahrscheinlich Arbeit gäbe und daß man uns frühmorgens aus dem Asyl entlassen würde, wenn wir sagten, wir hätten bereits Arbeit gefunden. Sonst müßten wir den ganzen Tag bleiben oder »über die Mauer«, das heißt,
    heimlich verschwinden, wenn der Vorsteher gerade nicht hinsah.
    Landstreicher tun das oft, aber dann müssen sie ihre Sachen draußen versteckt haben, was wir bei dem Regen nicht konnten.
    Wir gingen hinein, und ich fand, daß (wenn West Mailing
    typisch ist) Asyle erheblich besser geworden sind, seit ich zum letztenmal in einem war (Nein. Wenn sich etwas geändert hat, dann zum schlechteren). Der Waschraum war sauber und
    ordentlich, wir bekamen tatsächlich jeder ein reines Handtuch.
    Das Essen bestand allerdings aus dem üblichen alten Brot und Margarine, und der Vorsteher wurde ärgerlich, als wir ihn ganz harmlos fragten, ob das Getränk vor uns Tee oder Kakao sei2.
    Die Betten hatten Strohmatratzen und mehrere Bettücher, und wir schliefen wie erschlagen sofort ein.
    Am Morgen wurde uns erklärt, daß wir bis elf Uhr arbeiten
    müßten, und zwar einen der Schlafsäle schrubben. Wie üblich war das reine Formsache. (Ich habe nie auch nur einen Finger in einem

Weitere Kostenlose Bücher