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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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verlassen. Statt dessen erklärte er uns, daß wir bis Dienstagmorgen zu bleiben hätten.
    Es stellte sich heraus, daß der Vorsteher darauf hielt, jeden einen Tag arbeiten zu lassen und gleichzeitig nichts von
    Sonntagsarbeit wissen wollte. Auf diese Weise hätten wir den ganzen Sonntag müßig herumgesessen und statt dessen am
    Montag arbeiten müssen. Young Ginger und der Jude
    entschlossen sich, bis Dienstag zu bleiben, aber Ginger und ich gingen weiter und übernachteten in einer Anlage, dicht bei der Kirche. Es war tierisch kalt, aber etwas besser als die Nacht vorher, weil wir genug Holz fanden, um Feuer zu machen. Zum Abendessen bettelte Ginger beim Metzger, der uns fast zwei Pfund Wurst schenkte. Samstagabends sind Metzger immer sehr freigiebig.

    30. August
    Am nächsten Morgen entdeckte uns der Pfarrer auf seinem
    Gang zum Frühgottesdienst und wies uns fort, wenn auch nicht unfreundlich. Wir marschierten durch Sevenoaks nach Seal. Ein Mann, den wir unterwegs trafen, riet uns, auf der Farm von Mitchell, drei Meilen weiter, nach Arbeit zu fragen. Wir
    marschierten hin, aber der Farmer erklärte, daß er uns nicht einstellen könne, da er keine Unterkünfte für uns hätte. Die Beauftragten der Regierung schnüffelten überall herum, um zu
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    sehen, ob auch alle Hopfenpflücker eine »ordentliche
    Unterkunft« hätten. (Diesen Beauftragten, die von der Labour-Regierung eingesetzt worden sind, gelang es übrigens, jedes Jahr ein paar hundert Arbeitslosen die Arbeit in den
    Hopfenfeldern unmöglich zu machen. Da sie über keine
    »ordentlichen Unterkünfte« für die Pflücker verfügten, mußten die Farmer mit den Ortsansässigen auskommen.) Wir stahlen bei Mitchell etwa ein Pfund Himbeeren und sprachen dann bei
    einem ändern Farmer namens Kronk vor, von dem wir die
    gleiche Antwort bekamen. Bei ihm stahlen wir so ungefähr fünf bis zehn Pfund Kartoffeln. Im Begriff, nach Maidstone zu
    wandern, trafen wir eine alte Irin, die bei Mitchell Arbeit gefunden hatte, weil er glaubte, sie hätte eine Unterkunft in Seal, was nicht zutraf. (In Wirklichkeit schlief sie irgendwo in einem Werkzeugschuppen in einem Garten. Sie stahl sich gewöhnlich nach Einbruch der Dunkelheit hinein und vor Tagesanbruch
    wieder hinaus.) In einem Landhaus bekamen wir etwas heißes Wasser, und die Irin trank Tee mit uns und gab uns eine Menge von ihren Vorräten ab, die sie sich so zusammengebettelt hatte.
    Wir waren höchst erfreut darüber, denn wir hatten nur noch 2'/, d. und nicht mehr viel zu essen. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen. Wir gingen daher zu einem Bauernhaus neben der
    Kirche und baten um die Erlaubnis, uns in einem der
    überdachten Viehstände unterzustellen. Der Farmer und seine Familie wollten sich gerade zum Abendgottesdienst begeben
    und schlugen unsere Bitte entrüstet ab. So stellten wir uns in die überdachte Eingangspforte vor der Kirche, in der Hoffnung, daß wir bei unserm armseligen und müden Aussehen vielleicht ein paar Kupferpennies von den vorbeikommenden Kirchgängern
    bekommen würden. Wir bekamen nichts. Aber nach dem
    Gottesdienst gelang es Ginger, vom Geistlichen ein paar
    guterhaltene Flanellhosen zu erbetteln. Es war ungemütlich beim Friedhofstor. Wir waren bis auf die Haut durchnäßt, aber Ginger und ich sind noch zwölf Meilen marschiert, und ich
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    erinnere mich, daß wir die ganze Zeit vergnügt waren und
    lachten. Die Irin (sie war sechzig und hatte ihr ganzes Leben offenbar auf der Landstraße verbracht) erwies sich als
    ungewöhnlich heiteres altes Mädchen, das voller Geschic hten steckte. Als das Gespräch darauf kam, wo man überall nächtigen könnte, erzählte sie, daß sie in einer bitterkalten Nacht in einen Schweinestall gekrochen und bei einer alten Sau geschlafen und sich gewärmt habe.
    Als es dunkel wurde, regnete es immer noch. Wir
    beschlossen, nach einem leerstehenden Haus zu suchen, um dort zu schlafen, gingen aber erst in einen Laden, um ein halbes Pfund Zucker und zwei Kerzen zu kaufen. Während ich
    einkaufte, stahl Ginger drei Äpfel und die Irin ein Päckchen Zigaretten. Das hatten sie schon vorher ausgemacht, mir aber absichtlich nichts gesagt, um meine Ahnungslosigkeit als
    Deckung zu benutzen. Dann suchten wir lange Zeit, bis wir einen halbfertigen Neubau fanden, in den wir durch ein Fenster krochen, das versehentlich offengeblieben war. Der nackte
    Fußboden war verdammt hart, aber es war wärmer als draußen, und es gelang mir, tatsächlich zwei

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