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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Wir konnten ihn nie dazu bringen, mehr an sich zu waschen als die Nase und ein bißchen drum rum, und er erwähnte beiläufig, daß er mehrere Arten von Läusen an sich hatte. Auch er war Waise und fast seit seiner Kindheit »auf der Walze«.
    Ich besaß jetzt etwa sechs Shilling, und bevor wir loszogen, kauften wir eine sogenannte Decke für i s. 6 p. und organisierten mehrere Blechdosen als »drums«. Die einzig zuverlässige Dose für diesen Zweck ist die Zwei-Pfund-Büchse für Schnupftabak, an die man nicht leicht herankommt. Außerdem hatten wir einen kleinen Vorrat von Brot, Margarine und Tee und mehrere
    Messer und Gabeln und dergleichen, alles zu verschiedenen
    Zeiten bei Woolworth gestohlen.
    Wir nahmen die Twopence-Bahn bis Bromley und warteten
    dort an einer Schutthalde auf zwei andere, die mit uns kommen sollten, aber nicht erschienen. Es war schon dunkel, als wir das Warten aufgaben, und so konnten wir uns nicht mehr nach
    einem geeigneten Platz für die Nacht umsehen und mußten uns an der Ecke einer kleinen Parkanlage im hohen nassen Gras
    niederlassen. Die Kälte war bitter, wir vier teilten uns zwei dünne Decken, und es war nicht ratsam, Feuer zu machen, weil ringsum Häuser standen. Außerdem lagen wir an einem steilen Abhang, so daß man von Zeit zu Zeit Gefahr lief, im Graben zu landen. Ich fand es ziemlich beschämend, daß die ändern, alle jünger als ich, unter diesen Umständen fest und ruhig schliefen, während ich die ganze Nacht wach lag. Um nicht entdeckt zu werden, mußten wir noch vor Tagesanbruch aufbrechen, und
    erst nach mehreren Stunden gelang es uns, heißes Wasser zu bekommen und zu frühstücken.

    29. August
    Nachdem wir ein oder zwei Meilen marschiert waren, kamen
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    wir an einen Obstgarten, in dem die andern sofort Äpfel stahlen.
    Damit hatte ich bei unserm Abmarsch nicht gerechnet, aber ich sah ein, daß ich entweder mitmachen oder die andern verlassen mußte. So steckte ich mir meinen Anteil ein. Aber ich beteiligte mich am ersten Tag nicht an den Diebstählen, außer daß ich Schmiere stand. Wir schlugen so ungefähr die Richtung nach Sevenoaks ein, und bis Mittag hatten wir soviel Äpfel und
    Pflaumen gestohlen, daß auf jeden ein Dutzend kam, dazu noch fünfzehn Pfund Kartoffeln. Dazu gingen die andern in jeden Bäckerladen und in jede Teestube, um zu betteln, und wir
    bekamen auch eine Menge Brotreste und Fleisch. Als wir
    rasteten und Feuer für unser Essen machten, gesellten sich zwei Landstreicher, Schotten, zu uns, die in einem Obstgarten in der Nähe Äpfel gestohlen hatten und mit denen wir uns lange
    unterhielten. Ihr Gespräch drehte sich in unappetitlicher Weise um sexuelle Dinge. Landstreicher sind widerlich, sobald sie auf dieses Thema kommen. Ihre Armut verbietet ihnen jeden
    Verkehr mit Frauen, und ihr Denken ist von obszönen
    Vorstellungen wie verseucht. Wenn es sich um eine natürliche Geilheit handelt, ist alles okay, aber Menschen, die sich ständig aufgeilen, ohne daß es zu etwas führt, wirken entsetzlich kaputt.
    Sie erinnern mich immer an Hunde, die zwei sich paarenden
    Hunden neidisch zusehen. Im Lauf der Unterhaltung erzählte Young Ginger, wie er und andere einen »Puppenjungen« oder
    »Nancy Boy« auf Trafalgar Square entdeckt hätten und sofort über ihn hergefallen wären und ihm alles abgenommen hätten, was er besaß, 12 s. 6p. Offenbar fanden sie es völlig in Ordnung, den Jungen zu bestehlen, weil er ein »Nancy Boy« war.
    Wir waren nur wenig vorwärts gekommen, hauptsächlich,
    weil Young Ginger und der Jude nicht gewohnt waren zu
    marschieren und überall haltmachten und nach etwas Eßbarem suchten. Einmal hob der Jude sogar zertretene Kartoffelstücke vom Boden auf und aß sie. Da es schon spät nachmittags war, beschlossen wir, Sevenoaks links liegen zu lassen und statt
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    dessen nach Ide Hill zu marschieren, wo ein Obdachlosenasyl war, von dem die Schotten sagten, es wäre besser als sein Ruf.
    Etwa eine Meile davor hielten wir an, um Tee zu machen, und ich erinnere mich, daß ein Herr mit einem Wagen in der Nähe uns in freundlichster Weise half, Ho lz für unser Feuer
    zusammenzutragen, und jedem von uns eine Zigarette schenkte.
    Dann zogen wir weiter zu dem Asyl und pflückten auf dem Weg einen Strauß von blühendem Geißblatt, um ihn dem Vorsteher zu schenken und ihn damit gnädig zu stimmen, damit er uns am nächsten Morgen hinausließ, denn im allgemeinen dürfen
    Landstreicher am Sonntag das Haus nicht

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