Im Interesse der Nation
ein wenig unter Druck zu setzen, um die Einsamkeit besser zu fühlen und um die zunehmende Dunkelheit zu genießen. Bis auf den zischenden Laut des Ausatmungsventils war es jetzt völlig still. Die Dünung schaffte es nicht mehr, Kies und kleinere Steine durcheinanderzuwirbeln, und die Strömung war nur mäßig.
Er schwebte über einem schwarzen Abgrund, streckte Arme und Beine aus und ließ sich vom Druck immer tiefer pressen, hinunter in die Dunkelheit. 120 Fuß, 130 Fuß, 140 Fuß, 150 Fuß, langsam tiefer, 160 Fuß, dann immer schneller wegen des Drucks, 170 Fuß, 180 Fuß. Noch immer kein Grund, und wenn er weitermachte, würde er bald eine kritische Grenze passieren. Plötzlich hatte er die Idee, sich nicht mehr zu bewegen, nur die Naturgesetze wirken zu lassen.
Doch als er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, wurde er plötzlich hellwach, als hätten irgendwo im Organismus Alarmglocken geschrillt. Seltsame Phantasien sind beim Tauchen ein Warnsignal. Außerdem wurde es allmählich kalt, da der hohe Druck immer mehr von der schützenden Wasserschicht zwischen ihm selbst und dem Gummi des Taucheranzugs hinauspreßte.
Carl füllte seine Schwimmweste schnell mit genügend Luft, um nicht noch tiefer zu sinken. Er berechnete kurz die Zeit des Aufstiegs und füllte dann weitere Luft nach, so daß er ohne eine Bewegung sacht nach oben zu schweben begann.
Als er wieder eine Tiefe von 120 Fuß erreicht hatte, ließ er etwas Luft entweichen, hielt inne und stellte eine neue Berechnung an, wartete die notwendige Zeit ab, kontrollierte die Luftmenge und entdeckte, daß er mehr verbraucht haben mußte als normal. Das kam ihm merkwürdig vor. Es gab keine natürliche Erklärung dafür. Durch den stärkeren Druck spürte er ganz deutlich seinen Herzschlag. Er maß seinen Puls, fünfzig Schläge pro Minute, praktisch Ruhepuls. Dort unten mußte ihn unbewußt etwas erregt haben.
Er füllte erneut etwas Luft in die Schwimmweste und stieg zu einer Tiefe von 60 Fuß auf, wo es schon heller wurde, so daß er seitlich mindestens fünf bis sechs Meter sehen konnte.
Er machte eine neue Berechnung und wartete die geforderte Zeit ab, bis er in eine ungefährliche Tiefe aufstieg.
Den Rest seiner Zeit widmete er dem Studium des Tierlebens. Dort unten in der Dunkelheit mußte etwas Unerklärliches mit ihm passiert sein, denn jetzt verbrauchte er seine Luft in normalem und vorausberechnetem Umfang. Der Puls war noch immer völlig normal.
In Kairo - Zeitunterschied gegenüber Kalifornien zehn Stunden - war es nach Mitternacht, als sich die schwarzen, schmiedeeisernen Tore der schwedischen Botschaft öffneten und der Wagen des Botschafters auf den Hof fuhr.
Botschafter Erland Rickfors hatte einen Empfang in der holländischen Botschaft besucht und dort aus Prinzip den ganzen Abend abwechselnd Apfelsinen und den besonderen ägyptischen Limonensaft getrunken. Er fühlte sich im ganzen Körper sauer - wie eine wandelnde Zitrusplantage, dachte er mit einem schmalen Lächeln.
Als er seine Dienstwohnung im Erdgeschoß betrat, steuerte er folglich ohne Umwege die Hausbar in seinem privaten Arbeitszimmer an. Als er eine Whiskyflasche entkorkte, glaubte er ein unbekanntes Geräusch zu hören. Er blieb kurz mit der Flasche in der Hand stehen. Ja, es stimmte.
Aus dem Obergeschoß war Gesang zu hören. Leiser, aber unverkennbarer russischer Gesang.
Er hatte das ganze Problem verdrängt, ebenso die Probleme seines Lebens im Dienst, um wenigstens am Abend den Grübeleien zu entgehen, die ihn schon den ganzen Tag heimgesucht hatten. Doch hier fing alles wieder von vorn an. Das Problem saß dort oben und sang.
Er nahm zwei Gläser in die eine Hand und eine Wodka und eine Whiskyflasche in die andere und ging ins Obergeschoß hinauf. Im Korridor hörte er den Gesang ganz deutlich. Ein melodischer, schöner Bariton, und das Lied klang so russisch, daß es fast wie eine Parodie wirkte. Er klopfte an und trat gleichzeitig ein, während der Vizeadmiral schnell aus dem Bett sprang. Er hatte auf dem Rücken gelegen und gesungen.
»Verzeihung, falls ich Sie störe, Herr Vizeadmiral, aber ich dachte mir…«
Er vollendete den Satz nicht, einmal weil es leichter war, mit einer Handbewegung die Flaschen sprechen zu lassen, zum andern, weil er zu seinem Erstaunen entdeckte, daß der Russe geweint haben mußte.
»Selbstverständlich. Ich danke Ihnen für Ihre Liebenswürdigkeit. Bitte, setzen Sie sich, Herr Botschafter«, erwiderte der Russe, während er
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