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Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Stockholm landen. Er schickte ein lakonisches Telegramm an den Generalstab, OP 5, in Stockholm, teilte seine Ankunftszeit mit, kaufte ein Ticket, gab sein Gepäck in der Gepäckaufbewahrung ab, gab seinen Leihwagen zurück und fuhr mit dem Taxi in die Stadt. Dann flanierte er ziellos in der Innenstadt umher. Er kaufte eine halbe Flasche irischen Whisky, die er in die Tasche steckte, und ging dann zum Embarcadero, der Uferstraße hinunter. Er blieb eine Weile stehen und sah zu zwei großen Flugzeugträgern hinaus, die in der Dämmerung draußen bei Coronado lagen. Die Innenstadt hatte eine Reihe neuer Wolkenkratzer erhalten, mit Fassaden in reflektierendem Glas, in Gold, Hellblau und Türkis. Der Sonnenuntergang verlieh ihnen eine eigenartige Schönheit. Manche Gebäude spiegelten sich ineinander.
    Dann entschloß er sich, hielt ein Taxi an und ließ sich zu den Slumvierteln im Südosten fahren. Er stieg schon fünf oder sechs Straßenblocks von seinem Ziel entfernt aus, weshalb, wußte er nicht. Vielleicht war es eine alte Gewohnheit, nie direkt zum Ziel zu fahren, vielleicht wollte er auch mit der Möglichkeit spielen, bei seinem Spaziergang unter unzähligen kleinen Banden drogensüchtiger Neger und Mexikaner ausgeraubt zu werden.
    Er erreichte sein Ziel jedoch ohne jeden Zwischenfall. Und Herb saß auf seiner Veranda, als hätten sich beide erst vorgestern zum letzten Mal gesehen. Carl hatte Herbert O’Connor nie anders als Herb genannt. Das Holz der Verandatreppe schien schon halb durchgefault zu sein und knackte bedenklich unter Carls Gewicht. Er öffnete die dünne, quietschende Tür mit dem Moskito-Netz, ohne anzuklopfen. Der Anblick, der sich ihm bot, war so, wie er erwartet hatte. Alles war wie früher, wenn auch noch um ein paar Jahre schäbiger. Herb wirkte noch heruntergekommener, und die Flasche, die neben ihm stand, war schon leer.
    »Hallo, Herb, ich hab mir gedacht, guck mal rein, wenn du ohnehin schon in der Gegend bist«, grüßte er.
    Der kleine Ire blickte geistesabwesend auf, und es schien einige Sekunden zu dauern, bis er Carl in der Dunkelheit wiedererkannte.
    »Aber, aber, ist das nicht Carl höchstpersönlich, unser heidnischer Wikinger aus dem Norden. Ob ich mich freue, dich zu sehen? Yes, Sir, das tue ich. Setz dich doch.«
    Carl setzte sich behutsam auf einen Hocker mit abblätternder grauer Farbe, der neben Herbert O’Connors Schaukelstuhl stand. Carl hob die leere Whiskyflasche auf und roch daran.
    »Warum trinkst du diese Ziegenpisse, Herb? Immer dieselbe alte Ziegenpisse. Macht das wirklich solchen Spaß?«
    »Es geht nicht nur um Angebot und Nachfrage, junger Mann. Einfach ausgedrückt könnte man sagen, daß die Nachfrage zwar da ist, aber nicht das Geld. Hast du denn was Besseres mitgebracht?« erwiderte Herb mit gespielt verletztem Stolz. Herb hatte seinen Stolz schon vor langer Zeit versoffen.
    »Ja, hab’ ich tatsächlich, ich habe etwas irischen Whisky mitgebracht«, sagte Carl, zog die Flasche aus der Jacke und schraubte den Deckel ab.
    »Bitte sehr, mein Alter.«
    Er stellte die offene Flasche vor Herb auf den Tisch.
    »Willst du nicht auch selbst etwas?« fragte Herb und leckte sich nervös die Lippen. Es gelang ihm nicht, den Blick von der Flasche zu wenden.
    »Ich hätte nie gedacht, daß du fragen würdest, aber laß mich erst Gläser holen«, erwiderte Carl. Er stand auf und ging in die Küche zurück, wo er in der Spüle zwei einigermaßen saubere Gläser fand. Er wusch sie aus und nahm sie mit auf die Veranda. Der Verfall des Hauses war inzwischen weiter fortgeschritten. Die Küchenschränke waren leer, Tessies Zimmer war leergeräumt und die Tür aus unerfindlichen Gründen verschwunden. Als Carl wieder auf der Veranda stand, goß er beide Gläser bis zum Rand voll. Sie tranken schweigend, bis Herbs Glas leer war und Carl es wieder füllte.
    Inzwischen war es fast völlig dunkel geworden.
    »Wäre es nicht eine gute Idee, Licht zu machen, Herb?« fragte Carl schließlich.
    »Geht nicht. Die haben mir den Hahn zugedreht. Habe die Rechnung nicht bezahlt.«
    »Wie hoch ist sie?«
    »Zweiundsiebzig Dollar.«
    »Wie viele unbezahlte Rechnungen hast du noch?«
    »Zweihundert bis dreihundert Dollar.«
    »Ich bezahle sie dir. Wenn wir die Flasche ausgetrunken haben, lege ich das Geld in das leere Glas, denn dahin wirst du morgen nach dem Aufwachen als erstes schauen.«
    »Kannst du dir das leisten?«
    »Ja.«
    »Du bist also kein armer Student mehr?«
    »Nein, ich bin kein

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