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Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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selbst etwas vorlügen konnte. Es war bald vier Uhr nachmittags, als er zum Meer abbog, um die Interstate 5 zu suchen. Im Hinterkopf hatte er eine ungefähre Vorstellung davon, wann die SAS von L. A. nach Kopenhagen flog. Wenn er sich Mühe gab, würde er es immer noch schaffen.
    Als er sich von Norden her San Diego näherte, war es noch immer nicht zu spät; vermutlich gab es genügend Anschlußmöglichkeiten vom Charles Lindbergh Airport nach L. A.
    Als rechts die Universität auftauchte, verlangsamte er die Geschwindigkeit und fuhr zögernd an der ersten Ausfahrt vorbei. Bei der zweiten bog er jedoch entschlossen ab, fuhr den Village Drive entlang und glitt dann sacht auf das Universitätsgelände. Er fuhr langsam und wie in einem Traum. Hier hatte er fünf Jahre zugebracht, fünf Jahre, die sein Leben von Anfang an unausweichlich auf die Katastrophe hin gelenkt hatten, die er jetzt ahnte, aber nicht wahrhaben wollte.
    Er drehte eine ganze Runde um die Universität, fuhr am Revelle College und am Muir College vorbei und dann auf den Parkplatz. Er stellte den Wagen ab, ohne ihn abzuschließen, und ging zu Fuß zu dem Gebäude mit den Instituten für Angewandte Physik und Mathematik. Er blieb zögernd vor dem Eingang stehen. Vermutlich arbeitete Sebastian Lee hier. Plötzlich kam Carl der Gedanke, daß Sebastian für einen Chinesen ein merkwürdiger Name war. Sebastian war als Stipendiat aus Hongkong hergekommen, und sie waren Studienfreunde gewesen. Sebastian hatte nie geplant, die USA zu verlassen und nach Hongkong zurückzukehren. Er hatte nur eine Sorge: Wenn er Amerikaner werden wollte, mußte er eine amerikanische Chinesin finden, die er heiraten konnte. Das hatte er inzwischen vermutlich geschafft und arbeitete wohl auch hier.
    Carl erkannte plötzlich mit vernichtender Klarheit, daß er es wie Sebastian hätte machen sollen. Stipendiaten, die nie in ihre Heimatländer zurückkehrten, waren zwar mißlungene Investitionen, doch dafür erfolgreiche Menschen. Er hätte bleiben können, hätte Tessie gegenüber ehrlich sein können, hätte sie heiraten können, hätte als ein normaler Mensch ein normales Leben führen können.
    Doch er wagte nicht, das Haus zu betreten. Statt dessen schlenderte er ziellos unter den Eukalyptusbäumen umher. Soweit er sich erinnerte, war der Eukalyptus mit dem Eisenbahnbau im 19. Jahrhundert nach Kalifornien gekommen. Man hatte aus den schnellwachsenden Bäumen Bahnschwellen hergestellt. Das gesamte Universitätsgelände lag in einem Eukalyptuswald. Aus diesem Grund hatte man mit einer Anspielung auf Australien die Universitäts-Football-Mannschaft zum schadenfrohen Entzücken der Gegner die »UCSD Koalas« genannt. Ein amerikanischer Footballspieler darf keinen komischen kleinen Teddy auf der Brust haben, wenn er aufs Spielfeld rennt. Football-Mannschaften müssen so etwas wie CHARGERS oder RAMS heißen, und auf die Spielertrikots gehören kraftvolle und keine goldigen Symbole. Inzwischen hatten sie jedoch, wie Carl erfahren hatte, die Football-Mannschaft aufgelöst, die meist Niederlagen eingefahren hatte, worauf Quarterback Hamilton weder in der einen noch der anderen Richtung großen Einfluß gehabt hatte.
    Er ging an der futuristisch wirkenden Bibliothek vorbei, die wie eine Raumstation wirkte und diese tatsächlich auch einmal hatte darstellen dürfen, nämlich in der Fernsehserie »Raumschiff Enterprise«, in der dieser Wissenschaftler mit den spitzen Ohren vorkam.
    Carl blieb eine Weile vor dem unsäglich dämlichen Symbol der Universität stehen, das wie eine Vergrößerung dessen wirkte, was schwedische Kinder im Tagesheim aus Knetmasse herstellen - eine Art mexikanischen Sonnengott mit einem Kamm oder Sonnenstrahlen in Gold und ausgebreiteten Schwingen in Blau, Gelb, Rot und Weiß. Und dazu noch ein großer roter Schnabel. Das Ganze sollte einen Vogel darstellen.
    Carl ging an seiner alten Wohnung vorbei. Die Gardinen waren im selben dunklen Farbton gehalten wie früher, als wären es noch seine, als wohnte er noch immer dort. Er widerstand dem Impuls, ins Haus zu gehen.
    Er sprach mit niemandem. Niemand erkannte ihn wieder. Er ging wieder zum Wagen zurück und fuhr über den Highway zum Flughafen.
    Die SAS-Maschine ging wirklich um 17.45 Uhr von L. A. und würde am nächsten Tag in Kopenhagen landen. Doch jetzt würde er es nicht mehr schaffen. Er buchte einen Platz für den TWA-Flug 816 am nächsten Morgen um 9 Uhr. Die Maschine sollte um 11.25 Uhr Ortszeit in

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