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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Herr Leutnant meinen«, sagte Dünnbrot ohne eine Spur von Ironie und vertiefte sich dann wieder in sein Buch.
Tubber erkannte, dass er selbst auf den Felsen steigen musste. Und er wusste schon im Voraus, dass seine Höhenangst ihm die Hölle auf Erden bereiten wurde.
Doch es gab keinen Ausweg, also fügte er sich widerwillig in das Unvermeidliche und machte sich daran, über teils kaum handbreite Vorsprünge die Felswand hinaufzuklettern.
Er biss die Zähne zusammen und zwang sich, an alles Mögliche andere zu denken, nur nicht an die unaufhaltsam in jeden Winkel seines Bewusstseins kriechende Angst. Doch es half nichts. Mit jedem Meter, den er sich weiter emporarbeitete, krampften sich seine Eingeweide schmerzhafter zusammen und sein Herz hämmerte panisch. Seine Finger krallten sich ängstlich an jeder noch so kleinen Kante fest, die auch nur ein wenig Halt versprach. »Gott im Himmel, warum mache ich diese Scheiße bloß«, ächzte er und griff nach dem nächsten Felsvorsprung. Seine Höhenangst setzte ihm so sehr zu, dass er sich auf die Zunge beißen musste, um nicht in ein furchtsames Wimmern auszubrechen. Zudem schwollen auch gerade jetzt die Kopfschmerzen, die ihn nun schon seit mehreren Tagen verfolgten, wieder an und schienen seinen Schädel zum Bersten bringen zu wollen. Kreidebleich und keuchend erreichte er schließlich die kleine Gipfelfläche des Felsens.
Zwar beruhigte sich sein Puls nur langsam, und auch die zitternden Knie fühlten sich an, als müssten sie bei der kleinsten Bewegung nachgeben, doch Tubber verlor trotzdem keine Zeit und begann auf der Stelle, sich aufmerksam umzusehen. Auf diese Weise musste er nicht ständig daran denken, dass ihn auf allen Seiten nur wenige Schritte von einem Sturz aus vierzig Fuß Höhe trennten.
Wie von Captain Hollingsworth beschrieben, klaffte ein ausgestemmtes Wasserbecken im kantigen Basaltgestein. Auch wenn Tubber nicht viel von keltischen oder germanischen Kulten wusste, konnte er sich doch gut vorstellen, dass die Menschen vor Jahrtausenden an diesem ungewöhnlichen Platz die Gegenwart höherer Mächte vermutet hatten. Hier, auf einem schroffen, dunklen Fels, der hoch auf dem Gipfel eines Berges aus dem Erdreich hervorbrach, um einsam und abweisend seine Umgebung zu überragen.
Tubber merkte, dass seine Gedanken abschweiften. Er verscheuchte die nutzlosen Mutmaßungen über weit zurückliegende Zeiten und konzentrierte sich wieder ganz auf die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, die ihn hierher geführt hatten. Gewissenhaft nahm er jeden Zoll des Basaltgrundes in Augenschein, durchkämmte mit den Fingern Grasbüschel und Moos, sah in das Becken, wo das angesammelte Regenwasser noch immer unter einer dicken Eisschicht lag. Es war eine Suche ohne klar umrissenes Ziel; Tubber hoffte auf eine Kleinigkeit, einen bisher unbemerkt gebliebenen Anhaltspunkt, der ihm verraten konnte, weshalb ausgerechnet an dieser Stelle ein Mann gestorben war. Irgendetwas, das ihn voranbrachte.

Kommissar Dünnbrot steckte sein zerlesenes Heftchen des Zerbrochenen Krugs zurück in die Manteltasche und schaute hinauf zum Gipfel des Basaltfelsens, wo gelegentlich Tubbers Kopf für einen kurzen Moment über den Rand ragte und dann wieder verschwand, um kurz darauf einige Meter weiter abermals aufzutauchen.
Was verspricht der sich eigentlich davon? Da oben wird doch wohl kaum noch was herumliegen und nur auf ihn warten , dachte er. Na, das ist seine Sache. Soll er doch machen, was er will. Solange er mich nicht für seinen Unsinn einspannt, kann mir das recht sein. Er verschränkte die Arme vor der Brust und ging langsam auf und ab. Zwischendurch blickte er immer wieder kurz zum Rand des Felsens hinauf und fragte sich, was diesem merkwürdigen Engländer wohl im Nacken sitzen mochte. Da war so etwas wie ein geradezu verzweifelter Eifer; etwas, das den Mann trieb, ihn voranpeitschte und ihm keine Ruhe ließ, da war Dünnbrot sich ganz sicher. Er konnte es einfach spüren. Aber interessierte es ihn überhaupt? Es hätte ihm, wie alles andere auch, gleichgültig sein müssen. Wieso also zerbrach er sich den Kopf darüber, warum der englische Nachrichtendienstoffizier sich ständig verhielt wie ein Ertrinkender, der nach jedem noch so dünnen Strohhalm greift?
»Nein, nein, nein!«, wies Dünnbrot sich halblaut zurecht. »Es ist mir scheißegal.
Ich will's nicht wissen. Ich will nur, dass dieser Idiot wieder auf seine Insel verschwindet und mich in Ruhe lässt. Alles andere geht mir

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