Im Jahre Ragnarök
darauf, dass seine rastlos brodelnden und wirbelnden Gedanken endlich Ruhe gaben. Er beneidete sogar Dünnbrot, der diese Probleme offenbar nicht hatte. Der Deutsche lag auf einer Matratze auf dem Fußboden und schien zu schlafen wie ein Stein.
Eine Sache beschäftigte Tubber ganz besonders. Nicht die Frage, wie es möglich war, dass der zweifelsfrei tote Otto Pallasch sich mit Captain Jakes getroffen hatte.
Das war ganz einfach eine Täuschung, pure Einbildung, so wie der verstörende Tagtraum, den Tubber früher am Tag in Potsdam erlebt hatte. Ganz klar , sagte er sich, ich bin völlig überspannt. Kein Wunder, in meiner Situation. Morgen wird sich herausstellen, dass der Mann Pallasch einfach nur ähnlich sieht und dass meine Phantasie den Rest besorgt hatte. Nein, diese Angelegenheit raubte Tubber nicht den Schlaf. Auch nicht das noch immer nicht gelöste Problem, wie und warum Pallasch denn überhaupt auf den Hohlestein geklettert war, bloß um dort dann zu erfrieren. Diese Frage existierte für Tubber schon seit Langem nur noch im Hintergrund. Was ihn wirklich nicht ruhen ließ, war das Briefpapier, das Patton so verärgert zurückgewiesen hatte. Tubber hatte das zerknüllte Muster mit dem Briefbogen verglichen, auf dem die Gemäldeliste aus Pallasch' Mantel getippt war. Und sie waren identisch, bis hin zum fehlenden Punkt hinter dem S, der den General in solche Wut versetzt hatte. Aber wenn die Druckerei dieses Briefpapier tatsächlich erst am Vortag hergestellt hatte, wie konnte es dann möglich sein, dass Otto Pallasch es schon vor über einer Woche verwendet hatte?
Und was haben diese seltsamen Nazis überhaupt vor? , fragte Tubber sich immer wieder. Ragnarök, ja. Nur was genau ist Ragnarök? Wozu brauchen sie Sonnenschutzcreme für einen Aufstand gegen die Besatzungsmächte? Stiefel, das macht Sinn. Aber Sonnencreme? Doch er war zuversichtlich, schon am nächsten Abend mehr zu wissen. Dann nämlich, wenn er von Sir Hugh die Wachmannschaft des Liaison Office unterstellt bekommen und sowohl Captain Jakes als auch seinen Handelspartner, mochte er nun ein Doppelgänger von Pallasch sein oder nicht, dingfest gemacht und persönlich verhört hatte. Und das natürlich ohne Beteiligung der in dieser Besatzungszone eigentlich zuständigen Amerikaner. Der nächste Tag würde viele Antworten bringen.
Mit dieser beruhigenden Gewissheit schloss Tubber die schweren Lider und war schon kurz davor einzuschlafen, als sich im Dunkel etwas zu regen begann. Er öffnete die Augen wieder und konnte schemenhaft ausmachen, dass Dünnbrot sich von seinem Nachtlager erhob und aus dem Wohnzimmer hinausschlich.
Tubber konnte sich nicht erklären, was der Deutsche mitten in der Nacht vorhaben mochte. Doch er erfuhr es gleich darauf viel eindeutiger als ihm lieb war.
Aus dem benachbarten Gästezimmer, in dem Chantal Schmitt schlief, hörte er nach einer kurzen Weile das leise, rhythmische Quietschen von Bettfedern.
Also mehr als nur gemeinsame literarische Interessen , dachte Tubber und wollte sich dabei selbst vorspiegeln, sarkastisch zu sein. In Wahrheit jedoch fühlte er sich einsam und niedergeschlagen. Nie in den zurückliegenden Tagen hatte er sich so sehr wie jetzt gewünscht, diesen Auftrag endlich erfolgreich abgeschlossen zu haben und wieder daheim bei Ingrid zu sein.
Er drehte sich herum, zog die Decke über den Kopf und sackte nach einer kleinen Ewigkeit endlich in einen dumpfen, traumlosen Schlaf.
13. März
Der Tag hatte schlecht begonnen. Tubber war erst in den frühen Nachmittagsstunden aufgewacht, nachdem es weder dem Wecker noch Kommissar Dünnbrot gelungen war, ihn aus dem Schlaf zu holen. Er hatte Zeit verloren und musste jetzt voll und ganz darauf bauen, Sir Hugh in London so schnell wie möglich telefonisch zu erreichen, um die unverzichtbaren Vollmachten vom Brigadier zu erhalten. Viel Spielraum verblieb nicht.
Zeitmangel war aber nicht das einzige unerwartete Hindernis, mit dem sich Tubber konfrontiert sah. Günter Dünnbrot weigerte sich, ihn zu begleiten, und Chantal Schmitt wollte ihn nicht fahren. Beide behaupteten, völlig übermüdet zu sein, weil sie in der Nacht keinen Schlaf gefunden hatten. Tubber kannte den Grund dafür sehr gut, hielt sich aber mit Bemerkungen zurück. Ihm war nicht nach fruchtlosen Wortgefechten zumute.
Da Tubber in Eile war, bat er Chantal, ihm den Wagen für einige Stunden zu überlassen. Doch auf den Vorschlag, ihr unersetzliches Auto an den Engländer zu verleihen, wollte
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