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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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belehrt. Greta Donaths Wohnung war intakt, geräumig und vollständig eingerichtet, wenn auch das sehr gemischte Mobiliar verriet, dass es aus zahlreichen Quellen zusammengetragen sein musste. Elektrisches Licht gab es zwar nicht, doch hell scheinende Petroleumlampen aus US-Militärbeständen sorgten für hinreichende Beleuchtung.
Die andere positive Überraschung machte allerdings ungleich mehr Eindruck auf Tubber, denn es handelte sich um die Gastgeberin selbst. Etwa im gleichen Alter wie ihre Freundin Chantal Schmitt, unterschied sie sich von den abgezehrten Jammergestalten, die Tubber in Hamburg und Kassel gesehen hatte, wie der Tag von der Nacht. Greta Donath war, trotz flacher Absätze, etwa so groß wie er selber, hatte braune Augen und dunkelblondes Haar, das sie in einer geschickt vereinfachten Abwandlung der letzten amerikanischen Mode voluminös auftoupierter Frisuren trug. Und anders als bei Chantal fiel Tubber Gretas Schönheit sofort auf, was ihn selber irritierte. Er konnte es sich nur damit erklären, dass sie ihn auf seltsame Weise an Ingrid erinnerte, obgleich sie eigentlich kaum Ähnlichkeit mit seiner Ehefrau aufwies.
Greta Donath empfing die unangemeldeten Gäste, die ihre Freundin mitgebracht hatte, mit offenen Armen. Von Tubbers verlegener Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten wollte sie nichts hören und betonte stattdessen, wie sehr sie sich über Abwechslung freute. Sie unterstrich diese Beteuerungen, indem sie ein improvisiertes Abendessen auftischte. Die Grundlage dafür, Konserven der US Army, gab Tubber Anlass zu einigen Befürchtungen. Doch Greta vollbrachte ein kleines Wunder, indem sie den zweckmäßigen Geschmack der Militärverpflegung gründlich zum Besseren verwandelte. Für Tubber war dies die erste vernünftige Mahlzeit, seitdem er London verlassen hatte. Das Essen war sogar so gut, dass Tubber vorübergehend den bitteren Geschmack in seiner Mundhöhle vergaß; seit einer Infektion, die er sich vor Jahren im Irak zugezogen hatte, reagierte sein Magen sehr empfindlich auf seine Gemütsverfassung. Stress oder emotionaler Druck führten unweigerlich dazu, dass ätzender Magensaft die Speiseröhre hinaufstieg. In den vergangenen Tagen hatte Tubber ständig Galle auf der Zunge geschmeckt. Doch das war nun zumindest für die Dauer des Abendessens verflogen. Und bei aller Wertschätzung für Ingrids Kochkunst musste er sich eingestehen, dass auch daheim für gewöhnlich alles weitaus fader schmeckte, da in England die meisten Gewürze für Normalsterbliche kaum noch zu bekommen waren.
Weniger angetan war er von dem Gespräch, das sich beim Essen entwickelte. In fließendem Englisch, wenn auch verunstaltet durch einen amerikanischen Zungenschlag, der den an britische Aussprache gewohnten Tubber in den Ohren schmerzte, erzählte Greta mit unbefangener Leichtigkeit über ihre gemeinsamen Erlebnisse mit Chantal und wurde von ihrer Freundin auch noch tatkräftig darin unterstützt. Dünnbrot amüsierte sich dabei prächtig, doch Tubber war durch die teils recht plastischen Schilderungen peinlich berührt.
»Chantal und ich waren Kolleginnen ... ach, was sage ich! Wir waren ein Team , und was für eins!«, sagte Greta stolz.
»Recht hast du«, bestätigte Chantal. »Wir sind als Strandgut des Krieges aufeinandergetroffen und haben schnell herausgefunden, wie wir unsere Talente am besten nutzen konnten. Ich glaube, wir waren wohl ziemlich gut.«
Greta lachte auf. »Ziemlich gut! Nicht so bescheiden, Chantal. Wir beide waren für so manchen Ami der feuchte Traum seiner einsamen Nächte. Vor allem für die, denen das Geld fehlte.«
Diese Äußerung fand Tubber geschmacklos, doch als er sah, dass nicht nur Chantal, sondern auch Dünnbrot in das Lachen eingestimmt hatten, wollte er nicht unangenehm auffallen und rang sich ein verkrampftes Grinsen ab.
»Zu schade, dass du aufgehört hast«, meinte Chantal voller Bedauern, nachdem sie einen Schluck von dem billigen, aber genießbaren Wein aus Army-Beständen genommen hatte.
Die Deutsche ließ nachdenklich die Fingerkuppe über den Rand ihres Glases gleiten. »Ach, du weißt ja ... ich wollte halt irgendwie solide werden. Hat ja auch ganz gut geklappt.«
Nun sah Tubber eine Gelegenheit, das Gespräch in weniger verfängliche Bahnen zu lenken. Er beeilte sich, mit interessierter Miene nachzufragen: »Als was arbeiten Sie denn jetzt, Fräulein ... Frau Donath?«
»Nennen Sie mich einfach Greta. Ich bin beim deutschen Zivilpersonal in den Sherman

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