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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Barracks und leite die Kantinencrew. Das wird ganz gut bezahlt, sogar mit echtem Geld anstelle von BDL-Währungslappen, und ich bekomme Lebensmittel und Briketts. Zugegeben, manchmal ist es etwas langweilig im Vergleich zu den wilden Zeiten, die ich mit Chantal hatte. Aber dafür geht's mir doch wenigstens unendlich viel besser als der Mehrzahl der Menschen in diesem Land. Und Sie sind tatsächlich ein richtiger Geheimagent, John?«
»Theoretisch, ja«, erwiderte Tubber. Er mochte es eigentlich nicht besonders, auf amerikanische Art so vertraulich mit dem Vornamen angeredet zu werden; diesmal allerdings nahm er das hin. »Aber geheim kann man das wohl kaum noch nennen, wenn so ziemlich jeder davon weiß.«
Und er war auch nicht glücklich damit, widersprach dieser Umstand doch komplett der Grundidee seines Berufs. Er nahm sich fest vor, in seinem Abschlussbericht darüber Schweigen zu bewahren.
Schlechter als ich im Augenblick kann man Geheimhaltung bestimmt nicht handhaben , vermutete Tubber. Wohin ich auch komme, hinterlasse ich ... »Verflucht!«, entfuhr es ihm.
»Haben Sie sich verschluckt, Herr Leutnant?«, erkundigte Dünnbrot sich.
»Nein. Mir ist gerade etwas eingefallen. Ich habe den Zettel, auf dem Pallasch'
Treffen mit Svensson notiert war, in Pattons Büro vergessen!«
»Na, und wenn schon«, entgegnete der Kommissar mit einem Schulterzucken.
»Den brauchen Sie doch jetzt eh' nicht mehr.«
Doch Tubber widersprach. Er musste diesen Zettel unbedingt wieder in seine Hände bekommen, egal wie. Da war eine unbestimmte Ahnung, mehr noch, eine beängstigende unterbewusste Gewissheit, dass er dieses unscheinbare Stück Papier noch sehr dringend benötigen würde. Dünnbrot gegenüber erwähnte er jedoch nichts von diesem irrationalen Drang, den er sich selbst nicht erklären konnte. Er berief sich nur auf seinen in Jahren entwickelten professionellen Instinkt und sagte dann: »Ich werde mir den Zettel zurückholen.«
»Ich glaube kaum, dass man Sie noch einmal nach Sanssouci hineinlässt«, gab Dünnbrot zu bedenken.
»Und wenn schon. Ich finde einen anderen Weg.«
Greta schenkte ihm vom Wein nach und meinte belustigt: »Auf den Weg bin ich gespannt. Ich kenne Sanssouci. Der Park ist von einer hohen Mauer umgeben, beide Tore werden streng bewacht. Um da reinzukommen, müssten Sie schon fliegen können, John.«
Dem hatte Tubber nichts entgegenzuhalten. Er wollte sich widerwillig mit dem abfinden, was er nicht ändern konnte, doch etwas in ihm sträubte sich so stark dagegen, dass er weiter angestrengt nach einer Lösung für das Unmögliche suchte.
Und auf einmal überkam ihn eine Eingebung wie ein Blitz in der Nacht.
»Ich kann fliegen«, behauptete er. »Oder jedenfalls so was Ähnliches.«

Der schwere Lastwagen mit dem Kranaufbau raste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die Nacht. Tubber ignorierte sämtliche Unebenheiten der Straße und trat kräftig auf das Gaspedal, obwohl der einzige funktionierende Scheinwerfer die Finsternis nur wenige Meter weit durchdrang.
»Sie bringen uns alle in Teufels Küche«, rief Dünnbrot aufgebracht gegen den Motorenlärm an. »Mich, sich selbst und den Nachtwächter, den Sie mit der Schachtel Zigaretten bestochen haben. Was Sie da vorhaben, kann nur in einer Katastrophe enden!«
»Von Ihnen höre ich nie etwas anderes als Schwarzmalerei!«, beklagte sich Tubber entnervt. »Wie wär's, wenn Sie zur Abwechslung mal ein wenig Zuversicht zeigen? Haben Sie dafür kein passendes Zitat auf Lager?«
»Im Moment fällt mir nur Ihr großer Shakespeare ein: Ist's auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. «
Tubber war beleidigt, schwieg aber. Sollte Dünnbrot doch nörgeln, solange er nur seinen Teil des Plans korrekt ausführte. Der Korb schwebte über die von Stacheldraht und scharfkantigen Metallspitzen gekrönte Mauer hinweg und trug Tubber ins Innere des Parks. Ängstlich suchte der Engländer Halt; seine Finger umklammerten die Griffstangen so fest, dass ihm die Knöchel schmerzten. Dass er nicht schwindelfrei war, hatte er vorher nicht bedacht oder völlig verdrängt. Doch nun blieb ihm nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und sich damit zu beruhigen, dass er das Schlimmste bereits überstanden hatte.
Und tatsächlich senkte sich der Korb jetzt langsam, bis er in Kniehöhe über dem Erdboden zum Stillstand kam. Dankbar stieg Tubber aus, orientierte sich rasch und ging mit leisen Schritten auf die geschwungenen Kolonnaden an der Nordfassade von Sanssouci

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