Im Jenseits ist die Hölle los
Hautfarbe zu schließen, aus allen Ecken der Welt gekommen wa ren. Bestimmt waren sie zu Lebzeiten fromme Katholi ken gewesen und wollten sich nun die heiligen Stätten ansehen. Falls ein frommer Christ also zufällig so arm ist, dass er wichtige Pilgerfahrten zu Lebzeiten nicht unternehmen kann, so braucht er deswegen nicht trau rig zu sein. Nach dem Tod kann jedermann völlig kos tenlos überallhin gelangen.
Auf der Kirchenkuppel blieb ich nicht lange allein. Neben mir ließ sich mit wehendem Mantel ein alter Mann nieder, der auf dem Kopf ein Scheitelkäppchen trug. Wie ich beobachtete er das wimmelnde Leben – und mithin auch den Tod – unten auf dem Platz. Er war schlank, an den Füßen trug er Sandalen, und sein weißer Mantel, oder vielmehr seine Kutte, war aus gutem Stoff genäht. Er musterte mich eingehend, so als wollte er herausfinden, woher ich stammen mochte. Mit seinen klugen Augen hatte er bald das Wesentliche erkannt und sagte auf Englisch:
»Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie zur nordi schen Rasse gehören?«
Ich bestätigte es und erzählte ihm, dass ich ein finni scher Journalist und vor wenigen Wochen gestorben sei. »Nanu, und da sind Sie gar nicht unten auf dem Platz bei all den anderen?«, fragte der Alte und zeigte auf das Menschengewühl. Ich erklärte ihm, dass es mir hier auf dem Dach zunächst besser gefalle und dass ich sehr wohl noch die Absicht hatte, mir Rom und den Vatikan unten auf dem Erdboden anzusehen. Dann erkundigte ich mich, mit wem ich das Vergnügen hatte, wann er
gestorben sei und was er zu Lebzeiten getrieben habe. »Ich war Papst Pius IX. und bin bereits im vorigen
Jahrhundert gestorben, im Jahr 1878, falls Ihnen das nicht präsent sein sollte«, informierte er mich.
Sein Mantel war zweifellos schön und auch festlich, sonst aber wirkte er durchaus nicht päpstlich. Er ver hielt sich völlig zwanglos – einen Papst stellte ich mir anders vor. Ich lachte und entgegnete:
»So so, ich habe also die Ehre, mit einem Papst auf dem Dach zu sitzen.«
Im Stillen dachte ich, dass man anscheinend im Tod genau wie im Leben allerlei Bekloppte traf. Wahrschein lich stammte der Kerl aus Indien, aus irgendeiner elen den Gegend, war an Skorbut gestorben, lief jetzt im Vatikan herum und erzählte, dass er eigentlich Papst Pius IX. sei. Meinetwegen sollte er seinen Spaß haben, schließlich schadete er niemandem damit.
Ich staunte nicht schlecht, als auf einmal eine kleine Gruppe rot bemäntelter Kardinäle aufs Dach flatterte, um den Mann neben mir feierlich zu begrüßen, ehe sie ihren Weg über den Tiber hinweg und weiter nach Norden fortsetzte.
Schnell stand ich auf und entschuldigte mich bei Papst Pius für meine spöttischen Worte. Er machte mir jedoch ein Zeichen, mich zu setzen, und da hockten wir dann auf dem Kirchendach wie Dachdecker in ihrer
Mittagspause.
Nach und nach erzählte mir der Papst von seinem Leben und dass er bereits im achtzehnten Jahrhundert geboren worden sei, genauer gesagt im Jahre 1792. Er lachte.
»Hier im Jenseits gibt es nicht viele Geister, die so alt sind wie ich. Vielleicht kommt es daher, dass ich zu Lebzeiten ein widerborstiger Mensch war, lebensbeja hend und stark. Ich habe nicht so leicht nachgegeben, auch wenn ich die ganze katholische Kirche und beson ders den Vatikan oft völlig durcheinander gebracht habe.«
Ich saß ehrfürchtig da und lauschte dem alten Mann, der fortfuhr, so als hätte er meine Anwesenheit verges-sen:
»Man hielt mich für einen unvernünftigen Papst… Ende des vorigen Jahrhunderts glaubten viele, dass ich den Vatikan verliere. Einmal war es auch schon fast so weit, doch schließlich war ich es, der den Sieg davon trug.«
Ich bat ihn, mehr von jener Zeit zu erzählen, denn als Bürger eines lutherischen Landes kannte ich die katho lische Kirchengeschichte kaum. Der Papst saß eine Weile schweigend da, vielleicht überlegte er, ob sich die Mühe lohnte, für einen unbedeutenden finnischen Journalisten in Erinnerungen zu kramen. Bestimmt hatte er seine Lebensgeschichte schon siebentausend Mal erzählen müssen.
Er kratzte sich mit dem Fuß heftig die vom Mantel eingehüllte Wade des anderen Beins, anscheinend juck te sie stark. Als er bemerkte, dass ich diesen Reflex beobachtete, erzählte er, dass dort kurz vor seinem Tod ein bösartiges Geschwür entstanden und zu seinen Lebzeiten nicht mehr abgeheilt sei. Das habe dazu ge führt, dass er sich die Wade von Zeit zu Zeit mit
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