Im Kaufhaus ist der Teufel los
Lockstett wohnte in der
Slut-Gasse. Das war gleich neben der Innenstadt und TKKG benötigten weder Bus
noch Bike. Dicke Flocken schwebten in den frühen Abend herab. Gaby schwärmte,
die Stadt sei so herrlich weiß und weihnachtlich mit den dicken Schneebrettern
auf allen Dächern, den vereisten Gehsteigen und verengten Straßen durch den
geräumten, zu Bergen aufgetürmten Schnee.
Alle froren etwas. Klößchen
befeuerte seinen inneren Ofen, wie er es nannte, indem er Schokolade kaute, was
in der Kälte krachende Geräusche verursachte. Oskar, von Gaby an der Leine
geführt, lief fröhlich mit und hob regelmäßig das Bein.
Sie erreichten die Slut-Gasse.
„Ist nach einer Amerikanerin
benannt“, sagte Karl, „die in den fünfziger Jahren hier gewohnt hat. Da ist
Haus 11.“
Es gehörte, schmal und
sechsstöckig, in die Häuserzeile und führte seine Grundsteinlegung sicherlich
auch auf die fünfziger Jahre zurück.
Es gab viele Klingelknöpfe und
eine entsprechende Zahl Mietparteien. Die Haustür war geschlossen.
TKKG hatten eine Art
Überrumpelung geplant und klingelten nicht, sondern warteten, bis jemand
herauskam — eine ältliche Frau, die sich schwer auf ihren Stock stützte. Mit
höflichem Gruß schlüpften TKKG hinein.
„Aber Schuhe abtreten!“,
nörgelte die Alte. „Und der Köter soll nicht seine Tapsen auf der Treppe
hinterlassen.“
„Wir werden ihn tragen“,
grinste Tim, „und wir ziehen unsere Schuhe aus. Schönen Abend noch, meine
Dame!“
Die Haustür schloss sich. TKKG
suchten von Etage zu Etage. Elfriede Lockstett wohnte in der vierten.
Vermutlich die Mutter. Die Frau, die aufs Klingeln öffnete, hatte tatsächlich
etwas Ähnlichkeit mit Töchterchen Laura, sah aber verhärmt aus und war kein
bisschen geschminkt.
Tim grinste aus allen Poren, „’n
Abend, Frau Lockstett. Wir sind Freunde von Laura. Ist sie da?“
„Jaja“, war die müde Antwort.
„Sie ist da.“
Die Tür blieb offen. Die Frau
wandte sich ab und verschwand irgendwo.
Sie hat aufgegeben, dachte Tim
mit schalem Geschmack auf der Zunge. Lässt ihrer Tochter freie Hand. Mischt
sich nicht mehr ein in deren Leben. Eine gefrustete Mutter und ihr Ableger auf
der schiefen Bahn.
TKKG blickten in einen kurzen
Flur mit vier oder fünf Türen. Lauras Zimmer verriet sich akustisch. Denn dort
dröhnte Poppy Pinks Party-Power mit solcher Lautstärke, dass man die Langmut
der Nachbarn bewundern musste.
„Notfalls wenden wir Gewalt
an?“, fragte Klößchen leise.
„Spinnst du?“, meinte Karl,
womit die Frage beantwortet war.
Anklopfen war nicht vorgesehen.
Aber vielleicht tanzte Laura in Unterwäsche herum. Deshalb führte Gaby den
Trupp an, schob die Tür spaltweit auf und blickte hinein. Nein, Laura war
angemessen bekleidet, saß vor einem Frisierspiegel und erprobte künstliche
Wimpern, die lang genug waren, um eine Sonnenbrille zu ersetzen.
„Hallo!“, sagte Gaby und trat
ein, gefolgt von den Jungs samt Oskar.
Die 16-Jährige glotzte wie vom
Donner gerührt.
„Heh! Wer seid ihr? Was wollt
ihr? Hier ist kein Treff für Kids. Niemand hat euch eingeladen. Schiet! Wieso
lässt Mutter euch rein?“
„Keine Sorge!“, sagte Tim. „Es
ist kein Überfall. Wir wollen nur mit dir reden. Deiner Mutter haben wir
gesagt, wir wären deine Freunde.“
„Ihr seid nicht meine Freunde!“
„Werden wir auch nie“, meinte
Gaby. „Denn unsere Freunde suchen wir uns aus. Da stellen wir Ansprüche.
Besonders an den Charakter.“
Laura hatte sich umgedreht auf
ihrem Hocker. Sie sah komisch aus, trug nämlich am linken Augenlid angeklebte
Wimpern von besagter alberner Länge, rechts dagegen haftete nur die übliche
Tusche.
Tims Blick glitt durch das
Mädchenzimmer und das Staunen überkam ihn. Nicht zu fassen!, dachte er. Außer
Tisch, Bett und Schrank stammt hier alles aus dem Kaufhaus — alles. Und an
manchem ist noch das Preisschild. Sie hat die Sachen geklaut. Und Zinkdübel hat
weggeguckt. Klar doch! Auf diese Weise entlohnt er seine Komplizin. Sie darf
mitnehmen, was ihr gerade gefällt. Das hübsche Radio dort, die vielen CDs,
Kleinklamotten von Wäsche bis Pulli, zwölf Paar Schuhe — mit gefährlicher
Sohlenhöhe, irre viel Kosmetik und Körperpflege fürs Bad. Und dort ein Berg
Modeschmuck — auch noch mit Preisschildern dran.
„Laura“, sagte er, „wir sind
TKKG. Wir wissen, dass du klaust. Mit Zinkdübels Genehmigung. Für ihn jobbst
du, indem du Mädchen aus deiner ehemaligen Schule — und sicherlich
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