Im Keller
meiner magischen D ecken zu.
Ach Theo, es ist eine Woche her, dass ich unseren Sohn in dein Bett geholt habe. Vor einer Woche dachte ich noch, er ist der Schatz, aber ... nein, darüber möchte ich nichts schreiben. Ich bin fast verrückt geworden vor Enttäuschung und Schmerz.
Nur so viel: am nächsten Mo rgen wurde ich von einem entsetzlichen Gestank wach, und da war mir klar, dass ich Clemens, jedenfalls bis zu seiner Wiedererweckung, irgendwo begraben muss. Aber ich wollte ihn unbedingt in meiner Nähe haben.
Wieder kam mir die rettende Idee: ich schleppte alle Zeitungen, die ich in den letzten Jahren gesammelt hatte, nach oben und baute unserem Sohn daraus ein einzigartiges Grabmal, das we iter und weiter wachsen kann, bis in den Himmel.
Aber ich weiß, Theo, es wird nicht mehr lange dauern, dann steht er lebendig vor mir, freun dlich und geläutert, denn er ist durch die Hölle gegangen.
Ich hoffe nur, meine Nachbarin hat von dem ganzen Geschehen nichts mitbekommen. Ich hab zwar alle Vorhänge zugezogen, aber vielleicht hat sie doch durch einen Spalt gucken können. Ich habe sie sehr im Verdacht, dass sie mir hinterher spioniert.
Theo - ich rutsche manchmal so weg. Aber ich weiß, ich weiß, die Jahrtausendwende ist nicht mehr fern, und dann wird mein Sohn zu mir zurückkehren. Ja, und er wird mir erzählen, wie es da drüben ist, und bis dahin suche ich weiter. Auch, wenn das manche Leute verhi ndern wollen! Ja, wirklich, schräg gegenüber ist ein neues Ehepaar eingezogen, ganz merkwürdiges Volk, die Frau ist schon ein paar Mal vor meinem Haus stehengeblieben und hat sich alles ganz genau angeguckt. Warum wohl?
Und einmal hat sie bei mir geklingelt, aber ich hab nicht aufgemacht. Die sollen mich doch alle in Ruhe lassen!
Das dritte Jahrtausend ist angebrochen, und Clemens ist nicht auferstanden. Ein Jahr ist das her, ich weiß nicht, wo die Zeit bleibt.
Jedenfalls war ich sehr, sehr tief getroffen, Theo, eine Zeitlang wollte ich mich zu ihm legen und sterben.
Und ich war so wütend, dass ich am liebsten all das Zeug, das ich gesammelt hatte, auf den Müll geschmissen hätte! Aber ich kann nicht, ich hab noch lange nicht alles auf seine Brauchbarkeit hin getestet - was, wenn ich nun gerade das eine magische Ding we gwerfe, das mir Clemens zurückgeben kann?!
Ich gehe kaum noch vor die Tür, vielleicht mal zu meinem Trödelladen, aber nicht in den S upermarkt! Die Leute da glotzen mich an und beobachten mich, das kannst du dir nicht vorstellen! Die haben irgendwas vor, und ich laufe oft genug von Fenster zu Fenster, um aufzupassen, dass sie mir nicht das Haus unterm Hintern anzünden! Erst letzte Woche hat mir ein Mann mit voller Absicht eine noch brennende Zigarette vors Wohnzimmerfenster geworfen! Ich weiß gar nicht, was ich den Leuten getan habe!
Aber es ist nicht nur die äußere, sichtbare Welt, die mir Böses will, nein, auch im Haus sind wieder Kräfte am Werk, die mir manchmal eine Heidenangst einjagen!
Ich erhalte Anrufe, niemand meldet sich, aus dem Keller höre ich Schreie, in der Nacht klopft es an meine Schlafzimmertür. Aber all das spornt mich auch an: ich suche weiter wie besessen.
Ach Theo, es ist so demütigend. Nachdem ich meine Lebensmittelvorräte fast aufgebraucht hatte, musste ich irgendjemanden fragen, der für mich im Supermarkt einkaufen geht.
Ich rief Martin an und Simone und sogar Uschi und behauptete, ich hätte solche Rücke nschmerzen, dass ich kaum laufen könnte. Und wer stand als erste vor meiner Tür? Simone. Die mit dem eisernen Willen. Die Kaltblütige. Die Mörderin.
Sie sah auch nicht mehr so jung und frisch aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Aber immer noch blond, langhaarig, geschminkt, deutlich runder in der Taille. Mit großem Geächze und g ebeugtem Rücken ließ ich sie herein und tat so, als bemerke ich die Blicke nicht, mit denen sie sich umsah.
In der Küche machten wir zusammen eine Einkaufsliste, ich gab ihr Geld, und nach einer Stunde brachte sie die Sachen vorbei - und musste sich gleich wieder einmischen. Hier riecht es nicht gut, sagte sie und riss die beiden Küchenfenster auf. Wollen wir hier nicht mal ein bis schen klar Schiff machen?
Nein, beim nächsten Mal! Auch ich sprach sehr bestimmt.
Sie lenkte ein und schlug vor, das nächste Mal mit Uschi und einem neuen Schwamm und frischen Geschirrtüchern wiederzukommen. Und komischerweise, Theo, freue ich mich ein bisschen darauf. Aber nur ein bisschen.
Gestern
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