Im Keller
Frau starrt stu ndenlang das Bild an. Eines Nachts träumt sie von ihrer Großmutter, die ihr einen Schlüssel zeigt, der unter einem Schrank verborgen ist. Dieser Schlüssel wiederum gehört zu einer mit geheimnisvollen Zeichen verzierten Holzschatulle, die auf dem Dachboden versteckt ist.
Die Frau findet das Kästchen, und darin liegt ein Pinsel, ein magischer Pinsel, mit dem die Oma (wie sie im Traum behauptet hat) die schönsten und wundersamsten Bilder malen kon nte.
In ihrem Atelier malt sich die Frau mit dem ,magischen‘ Pinsel selbst in das Bild hinein, in dem ihr Sohn am Wasser auf sie zu warten scheint. Sie malt sich ein bisschen vom Teich entfernt, in einem luftigen, rosa Kleid mit einem rosa Hut.
Ja, es ist die pure Idylle, und mancher würde vielleicht sagen, es ist der pure Kitsch - aber irgendetwas an diesem Film berührte mich ganz tief drinnen, nahm mich gefa ngen und ließ mich nicht los. Besonders natürlich der Schluss: sehnsüchtig betrachtete die Frau die farbenprächtige Welt, die sie auf der Leinwand erschaffen hatte, hob den Pinsel, um auf ihr rosa Kleid einen letzten Tupfen Farbe zu setzen - und als der Pinsel, dieser Wunderpinsel, das Bild berührte, floss die Frau oder die Seele der Frau durch den Pinsel auf die andere Seite! Und dort erwachte ihre Figur zum Leben, und auch ihr Sohn war lebendig, und sie fielen sich fast verrückt vor Glück in die Arme.
Ach Theo, ich habe stundenlang wach in meinem Bett gelegen und aus Verzweiflung geweint, weil es so einen magischen Pinsel für mich nicht gibt.
Und dann, Theo, genau drei Tage später, passierte das, was ich im Nachhinein als Wink des Himmels verstanden habe, denn etwas anderes kann es nicht gewesen sein: in einem anderen Programm lief noch so ein Film: es ging um die Suche nach einer magischen Kette. Wer sie fand und um den Hals legte, der wurde sofort von allen Wunden und Schmerzen geheilt.
Und wieder genau drei Tage später gab es eine Dokumentation über Naturvölker, die an die Macht magischer Gegenstände glauben.
Das kann kein Zufall sein! Das ist ein Hinweis! Es gibt etwas, das meinen Schmerz heilen kann!
Theo, ich war so aufgeregt, dass ich die ganze Nacht nicht geschlafen hab! Heute Morgen mache ich mich sofort auf die Suche! Ich freue mich so!
Gestern habe ich in einem kleinen Antiquitätengeschäft herumgestöbert, die hatten sehr schönen, alten Schmuck da, und wie ich meinen Blick so über die Ketten, Ringe und Armbänder wandern lasse, sticht mir auf einmal ein verschnörkeltes Kreuz ins Auge, aus Silber mit schwarzen Steinen. Ich weiß, das ist es. Das gehört zu mir, und es wird mich heilen.
Zwei Wochen habe ich das Kreuz getragen, und ich fühlte mich, als hätten Gott und Clemens mir vergeben. Sogar der Alkohol wurde unwichtig, ich trank nur noch am Abend zwei Gläschen Wein, um besser einschlafen zu können.
Heute aber, Theo, heute geht es mir schlecht. Das Kreuz war eine Täuschung. Es wäre ja auch zu einfach gewesen. Ich brauche etwas anderes. Und als wär das noch nicht genug, hielt der Tag noch mehr unangenehme Überraschungen bereit: gleich nach dem Mittagessen, als ich den Müll nach draußen hinters Haus bringe, und mein Blick einmal über den winterl ichen, weißen Garten streift, sehe ich unter dem Nussbaum im Schnee so merkwürdige, kreisrunde Spuren.
Ich hab mich so erschrocken! Wer schleicht da in der Nacht durch meinen Garten?!
Kaum bin ich wieder im Haus, als Simone mich anruft und fragt, ob sie rüberkommen dürfe, wir müssten doch besprechen, was mit Clemens´ Leiche geschehen soll. Ich hab ihr gesagt, ich wolle im Moment keinen Besuch, und ich würde mich schon um die Angelegenheit kümmern.
Diese hinterhältige Ziege! Ständig kommandiert sie die Leute rum! Das kann sie mit Uschi machen, aber nicht mit mir!
Nachmittags will ich meinen Lieblingsarmreif anziehen, den silbernen, weißt du noch, Theo, den du mir mal in Griechenland gekauft hast, aber ich kann ihn nirgendwo finden. Zwei Stunden habe ich alles durchwühlt, aber er war weg. Das hat mir einen richtigen Schlag versetzt.
Abends dann liege ich im Bett und denke über den Armreif nach und über Simone und über die Spuren im Schnee, als mich plötzlich ein Geräusch direkt über meinem Kopf aufschrecken lässt, so ein schleifendes, kriechendes Geräusch aus dem Dachboden, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Theo, ich hab mir die Flasche neben dem Bett geschnappt, mir ein paar ordentliche Schlucke genehmigt,
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