Im Keller
stark g eschminkte und immer zu flittchenhaft angezogene Frau so gut kochen kann. Dabei wusste ich doch, dass Simone Qualitäten hatte, die viele andere Menschen (Uschi und mich eingeschlossen) in dieser Ausprägung nicht haben: Willensstärke, Disziplin, Durchsetzungsvermögen, unerschöpfliche Energie und einen bewundernswerten Einfallsreichtum. Man darf sich wirklich nicht von ihrem Äußeren täuschen lassen.
Am Nachmittag fuhren wir zu Uschi (die immer noch nicht richtig bei Bewusstsein war) ins Krankenhaus, abends saß ich wi eder allein zu Haus.
Ich schaffte es sogar, eine Weile nicht an Clemens zu denken. Bis ich von unten ein leises R umoren hörte. Er lebte also noch. Wie lange würde er das durchhalten? Waren Simone und ich überhaupt in der Lage, den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen, um Clemens zu ,befreien‘? Wäre es nicht besser, wenn er ...
Ich suchte Trost bei einer Flasche Wein, und nach dem dritten Glas begann ich zu weinen und Gott anzuflehen, er möge Clemens erlösen, damit diese Tortur ein Ende hatte.
Ich kerbte zum vierten Mal die Tischkante ein, betrank mich weiter, rauchte eine Zigarette nach der anderen, schlief auf dem Sofa ein und hatte Riesenglück, dass ich nur ein Brandloch in den Dielenboden machte und nicht das ganze Haus abfackelte.
Aber war das wirklich ein Glück? Wär es nicht besser gewesen, die Flammen hätten alles Böse, mich, Clemens und die schrecklichen Kellerräume aufgefressen?!
Am nächsten Tag - es war ein Sonntag - quälte ich mich früh aus dem Bett, denn ich hatte das Bedürfnis, zur Messe zu gehen. In der Kirche fand ich dann aber doch keinen inneren Frieden, denn ich fühlte mich von den Leuten angestarrt und von Gott abgelehnt.
Als die Messe vorbei und die Leute gegangen waren, blieb ich in der Kirche zurück, kniete nieder, betete, flehte Gott an, mir einen Ausweg zu zeigen. Ich weinte leise vor mich hin und steigerte mich immer mehr hinein in meine Verzweiflung und meinen Schmerz. Sollte ich wie Gott meinen Sohn opfern, um Schlimmeres zu verhindern? Oder sollte ich ihm wie Jesus alles verzeihen, was er mir, Uschi und den Babys angetan hatte?
Mein Blick fiel auf ein Bildnis der mild und gütig lächelnden Mutter Gottes ... und da beschloss ich, Clemens noch eine Chance zu geben, eine allerletzte Chance, sein Leben zu ändern und ein guter Mensch zu werden.
Ich dankte Gott, bekreuzigte mich, schlich aus der Kirche, verdrückte mich draußen in eine uneinsehbare Nische des Seitenschiffs und genehmigte mir ein paar Schlucke Korn aus der Wasserflasche. Und mit dem Saufen würde ich auch aufhören, sobald Clemens wieder in Ordnung war!
Ich fuhr nach Hause. Und unterwegs passierte es dann. Ich konnte meine Straße, in die ich abbiegen musste, schon von weitem sehen, und dieses erhebende Gefühl, einen Menschen zu befreien und ihm zu vergeben, beflügelte mich, und ich war wohl ein bisschen zu schnell unterwegs, und plötzlich sprang die Ampel auf Gelb, und ich überlegte, sollst du bremsen oder sollst du noch durchfahren, und ich überlegte und überlegte, und der Korn trug auch nicht zu einer schnellen Entscheidung bei.
Die Ampel wurde rot, und ich trat mit aller Macht auf die Bremse. Der Fahrer hinter mir ha tte damit nicht gerechnet und knallte mir in den Kofferraum. Und ich flog, da nicht angeschnallt, in die Windschutzscheibe.
Irgendwann im Krankenhaus wurde ich kurz wach. Ein Arzt erklärte mir, ich hätte eine schwere Gehirnerschütterung, außerdem habe man mir zahlreiche tiefe Schnitte in G esicht und Armen nähen müssen, dann döste ich wieder weg.
In der Nacht schreckte ich aus einem furchtbaren Traum hoch, in dem mir ein sterbe nder Clemens mit Hass in den Augen entgegenschleuderte, dass er mir nie verzeihen werde. Aber ich konnte nicht aufstehen, nichts tun, ich war zu müde und zu kraftlos, ich schlief wieder ein.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich benommen, wie hinter Glas. Als plötzlich die Erinnerung einsetzte, schwang ich die Beine aus dem Bett, wollte aufstehen und nach Hause zu meinem Sohn fahren. Aber mir wurde so schwindlig, dass ich zurück auf die Matratze sackte und mich fast übergeben hätte. Zuerst ein Frühstück, sagte ich mir, dann fährst du. Nach dem Frühstück döste ich aber wieder ein, bis Simone ins Zimmer gehumpelt kam, die irgendwie erfahren hatte, dass ich hier war.
Sie war besorgt, aber eigentlich wollte ich mich nicht mit ihr unterhalten - ich wollte nach Hause. Alleine. Deshalb tat ich
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