Im Kettenhemd (German Edition)
geräumige Unterkunft. Leider hielten sich hier bereits an die zwanzig Personen auf, und Dietrich wurde nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen.
Ein unbeschreiblicher Geruch, ja höllischer Gestank schlug ihm entgegen, und der beste Schwertkämpfer der Welt hätte nichts dagegen tun können. Es verschlug Dietrich für einige Augenblicke die Sprache, denn es war im Moment kaum vorstellbar, hier an diesem von Gott verlassenen Ort eine unbestimmte Zeit verbringen zu müssen. So stand er da und musste einige Zeit um Fassung ringen.
Als sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, sah er Menschen, die sicher schon lange an diesem Ort ausharren mussten. Er blickte in hohle Augen und ausgezehrte Gesichter.
»Wer ist hier von Adel?«, ließ er sich laut und deutlich vernehmen. Es herrschte Stillschweigen, aber alle Augen waren auf ihn gerichtet. Hinten, in einer Ecke neben einem Steinsockel, erhob sich ganz langsam ein Mann. Er war angekettet, recht groß und hatte Mühe, auf seinen eigenen Beinen zu stehen.
Ich werde mich vorerst in der Mitte des Raumes halten, dachte Dietrich. Für den Fall, einer der Kerle würde ihn attackieren, brauchte er Platz zum Kämpfen. Der sich soeben erhob, kam Dietrich wegen seiner Statur bekannt vor, und als der sich noch etwas zum Licht des Kerkerfensters drehte, erschrak er.
Das könnte Karl, des Junkers Hauptmann, sein. Er war übel zugerichtet. Das Gesicht war angeschwollen und blutverschmiert. Sein linkes Auge sah furchtbar aus und offensichtlich hatte er Schmerzen an den Rippen. Dietrich eilte zu ihm und fragte leise: »Bist du Karl, der die Vorhut führte?«
Der große Mann drehte sich vollends zu ihm herum. »Ja, Herr Baron, der bin ich«, gab er zur Antwort.
Trotz seiner Verletzungen im Gesicht hatte er Dietrich sogleich erkannt. Dietrich bedeutete ihm leiser zu sprechen, denn hier könnten die Wände Ohren haben.
»Die Hunde haben mich angekettet«, fluchte Karl.
»Bereitet dir das Stehen Schmerzen?«, wollte Dietrich wissen.
»Ja, die haben mir wohl ein paar Rippen gebrochen.« Sie setzten sich an den Platz in der Ecke, soweit Karls Kette eben reichte.
»Wir haben deine Männer gefunden. Sie waren alle tot.«
»Wie ist es denn möglich, dass Ihr hier seid?«, wollte Karl sogleich wissen.
»Das werde ich dir erzählen, wenn ich deine Geschichte kenne«, gab ihm Dietrich zur Antwort.
Karl erzählte dann, was sich an diesem unglückseligen Tag zugetragen hatte: »Als wir zu der Felsengruppe ritten, warteten sie schon auf uns. An die fünfzig Reiter und Fußsoldaten hatten sich dort verborgen gehalten. Wir wollten uns eben eine geeignete Stelle zum Lagern suchen, als der Tanz losging. Gegen diese Übermacht konnten wir nicht bestehen. Einige haben wir dennoch erschlagen, aber es waren dann einfach zu viele. Die meisten meiner Männer waren schon tot, aber ich konnte nach einem harten Kampf ihrem Anführer meinen Dolch an den Hals setzen. Ich war umstellt, und sie versprachen, mich nicht zu töten, wenn ich den Mann freigeben würde. Der gab mir dann auch sein Wort, worauf ich ihn seinen Männern übergab. Als ich meine Waffen ins Gras geworfen hatte, schlugen die dann auf mich ein. Hier drin bin ich erst wieder zu mir gekommen.«
»Ob da Verrat im Spiel ist?«, flüsterte Dietrich.
»Das wäre möglich«, meinte Karl. »Vielleicht haben sie einen Informanten, dem das englische Gold lieber ist als seine Ehre.«
»Wir müssen dich erst einmal versorgen, damit du schnell wieder auf die Beine kommst. Ich habe nicht die Absicht, hier zu vermodern«, meinte Dietrich.
Er hatte beim Leibarzt des Königs von Spanien so einiges über die Anatomie des Menschen gelernt. Dieser Armaldus de Vilkania hatte sein Wissen am Hofe des Kaisers von China erweitert. Man war ihm dort zu großem Dank verpflichtet, nachdem er einen der Söhne des Herrschers von einer Vergiftung geheilt hatte.
»Soll ich mir deine Rippen mal ansehen? Ich kann dir sicher helfen, die Schmerzen zu lindern.«
Karl war einverstanden, und Dietrich stellte schnell ein paar gebrochene Rippen fest.
»Wir müssen dich bandagieren, um die Heilung zu fördern.«
»Hier gibt es aber nichts, was wir dafür benutzen könnten, Herr Baron.«
Dietrich zog seinen Wappenrock hervor und band ihn ohne viel Federlesen fest um Karls Rippen: »So wird es gehen, und bald wirst du wieder mit den Mädchen tanzen.«
»Das werde ich Euch nicht vergessen«, sagte Karl voller Dankbarkeit. »Nun muss ich aber auch wissen, wie sie Euch erwischt
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