Im Kettenhemd (German Edition)
In ihren Träumen sahen sie den Tod Armands, die Suche nach dem Schatz, die Siegesfeier an der Tafel von Rainier de Dijon und schließlich diesen schändlichen Überfall, der hier in der Abtei sein unrühmliches Ende fand.
Auch Dietrich kam lange nicht zur Ruhe. Seine Gedanken gingen weit voraus, ins heimische Hessen. Er sah die Schwestern und den Vater vor sich, wie sie allein die Felder bestellten und einfach nicht fertig wurden. Träume haben es mitunter an sich, alles zäh wie Honig geschehen zu lassen und der Gefahren einer Ewigkeit lange nicht Herr werden zu können. Die Monate in Kampf und Kerker würden wohl noch lange für Albdrücken sorgen, und so mancher würde sein Leben lang keine Ruhe mehr finden.
Ein Hahn krähte schon früh am Morgen und ließ die ersten der kleinen Schar erwachen. Karl hatte die letzte Wache und bereits in der Frühe einen Kessel mit heißem Wasser angesetzt. Am langen Tisch der Mönche hatte er aus den Dingen des Proviantsacks ein bescheidenes Morgenmahl gerichtet. Der neue Tag weckte die Welt mit einem wunderschönen Morgenrot, und als wäre nichts geschehen, hatte eine kleine Katze den Weg ins Innere der Abtei gefunden. Ihr lang gezogenes Miau drang schließlich auch dem letzten Schläfer in die Ohren.
Sabella lag dicht an Dietrich geschmiegt und tauschte diesen Ort der Geborgenheit nur ungern gegen den neuen Tag ein.
Karl stieß das Tor der Abtei nun vollends auf, und die hellroten Sonnenstrahlen fegten die Schrecken der letzten Nacht hinweg.
Cedric wollte dringend nach den Pferden sehen und lief sogleich zum Weideplatz hinüber. Welch Wunder, hier waren nun mehr als doppelt so viele Tiere wie am Tag zuvor eingestellt! Auch die Banditen hatten ihre Pferde hier bei den anderen gelassen, und nun waren für sie alle genügend Reit- und Lasttiere vorhanden.
Das Gold des Templers verteilten sie gerecht auf alle Beteiligten und verstauten die wertvolle Fracht in den Satteltaschen der Reit- und Lasttiere.
Dietrich teilte jedem den gleichen Anteil zu, schon um jeglichen Neid zu vermeiden. Die Worte seines Vaters, als der ihn einst vor der Missgunst der Menschen warnte, hatte er noch allzu gut im Ohr. Als alle am Tisch saßen, sprach Dietrich zu seinen Gefährten: »Wie besprochen werden wir nun nach Norden ziehen, um so bald wie möglich ins Hessische zu gelangen. Jedem von euch sollte klar sein, wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Nur gemeinsam können wir unsere Habe durch die Wirren dieser unsäglichen Zeit bringen. Einer ist auf den Schutz des anderen angewiesen.« Noch in derselben Stunde schworen alle einen Eid, sich gegenseitig zu schützen und mit dem eigenen Leben zu verteidigen.
Auch Cedric, der Franzose, entschloss sich, mit dem Trupp zu ziehen, hatte ihm Dietrich doch von seinen hübschen und unverheirateten Schwestern erzählt. Seine Jugend und der Mut eines jungen Ritters waren für alle von großem Wert.
Am Tor der Abtei hinterließen sie eine Nachricht, die Jörg dort festnagelte. Die Mönche sollten wissen, dass, nachdem der »Pestpatient« gestorben und beerdigt war, nun keine weitere Gefahr mehr bestand.
Bis zum Nordtor des Chateaus war es nur einen Steinwurf. Die kleine Truppe aus fünf Männern und einer Frau, die jedoch in Männerkleidung gut durchging, stand alsbald dort unter dem Wehrturm.
»He, Hauptmann«, rief Jörg den Wachen zu, die womöglich noch den Geist des Weines vertreiben mussten und heute etwas länger brauchten.
Oben wurde eine Lade geöffnet und ein Mann hängte sich halb aus dem kleinen Fenster.
»Wer seid Ihr?«, rief er von oben.
»Ich bin es, Ritter zu Trappenberg, und bringe Euch wie versprochen zwei Flaschen vom Besten. Den hat mir der Heerführer selbst überreicht.« Es dauerte eine Weile, bis jemand in der Tür erschien.
»Ah, Ihr seid es«, freute sich der Wachmann mit noch weinseligem Blick.
»Zwei Fläschchen vom Allerbesten für die Männer des Königs!«, grölte Jörg in der Sprache der gemeinen Soldaten.
»Ihr seid ein guter Mann und denkt an uns hier draußen«, brabbelte die Wache. »Kommt, trinkt mit uns und bringt Eure Freunde gleich mit!«
»Gern würden wir das tun, aber zuvor müssen wir auf Geheiß noch einen Erkundungsritt in die Ebene machen. Wir sind in ein paar Stunden zurück und dann lassen wir den lieben Gott einen guten Mann sein«, sprach Jörg verbindlich.
Der lange Blick des Wachsoldaten verhieß nichts Gutes. Er schaute auf die beiden Flaschen und dann wieder auf den Junker. »Zu wenig Flaschen, zu viele
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