Im Kettenhemd (German Edition)
Dietrich, »jetzt weiß ich auch, wer der Mann war, der hinter Lord Eshby stand!«
»Lasst mich raten!«, sagte Karl, »Graf Nagelli, der in Diensten der Engländer steht. Also war doch Verrat im Spiel.«
Dietrich beschlichen düstere Gedanken. Er setzte sich in die Ecke, wo sie schon so viele Stunden über alles Mögliche gesprochen hatten, und ging in sich. Was konnte dieser Graf alles wissen und, vor allem, wer versorgte ihn mit Informationen? Wenn es nur einen Weg gäbe, de Dijon zu warnen, um Schlimmeres zu verhindern! Am Gelingen des Sturmangriffs auf die Feste hingen so viele Schicksale, dass ihm schwarz vor Augen wurde. Hier zu sitzen und nicht in die Geschehnisse eingreifen zu können, erschien ihm unerträglich. Weggesperrt und ohnmächtig zu sein war eine Situation, in der er sich niemals zuvor befunden hatte. Ein großes Glück für ihn war Karl, der nun mittlerweile wieder fast im Vollbesitz seiner Kräfte war und durch seinen geistigen Esprit die Lage einigermaßen erträglich machte. Karl hatte die zündende Idee.
»Ich glaube, den Kerl da draußen nannten sie Bernard. Wenn Herr Baron einverstanden wären, versuche ich mit dem Mann ins Gespräch zu kommen.«
»Ja, aber schnell, bevor er verschwindet«, drängte Dietrich.
Schnell war Karl wieder am Fenster und rief den Kerl beim Namen. Der schaute sich verwundert um und wusste nicht so recht, wo die Stimme herkam, die ihn rief. Als er schon dachte, die Sinne hätten ihn getäuscht, rief Karl nochmals seinen Namen, und nun hatte er die Richtung des Rufers ungefähr geortet. Er nahm seinen Hut als Sonnenschutz und schaute direkt zum Fenster, hinter dem Karl sich bemerkbar machte.
»Wer ruft mich da beim Namen?«, wollte Bernard wissen.
»Karl, von den französischen Aufklärern«, bekam er zur Antwort.
Da Bernard ihn zunächst nicht sehen konnte, war er voller Misstrauen. Nachdem Karl ihn aber mit einigen Erlebnissen, die für Bernard recht überzeugend klangen, beeindrucken konnte, kam er interessiert dem Fenster näher.
»Warum bist du hier?«, wollte Karl sogleich von ihm wissen.
»Seid Ihr der Hauptmann Karl, der beim Angriff auf die Westschanze der Engländer den Angriff führte?«, fragte Bernard zurück.
»Ja doch, der bin ich«, antwortete Karl schon etwas ungeduldig.
»Mon dieu, Monsieur, was tut Ihr hier?«, kam es überrascht aus Bernards Munde.
»Ich studiere hier die englische Gastlichkeit, Mann, was für eine Frage! Im Moment kann ich dir nicht mehr sagen«, entfuhr es Karl. »Hast dich wohl auf deren Seite geschlagen, gemeinsam mit deinem feinen Grafen?«, blaffte er dann Bernard an.
»Nein, Herr, so ist es nicht.« Unsicher drehte er seinen Kopf nach allen Seiten. »Ich komme gleich wieder, nach der Wachablösung. Die Kerle kenne ich und dann können wir reden.«
Noch ehe Karl antworten konnte, war Bernard verschwunden.
Nachdem Karl wieder festen Boden unter den Füßen hatte, versuchte auch Dietrich wieder auf die Beine zu kommen. Nur mit Mühe konnte er sich aufrichten, denn sein Rücken war solch ein Gewicht nicht mehr gewöhnt. Die Blicke der Mitgefangenen sprachen wie befürchtet für sich, und Karl herrschte die Männer sogleich an: »Was glotz ihr so, hat jemand eine Frage, oder wollt ihr auf die nächste Mahlzeit verzichten?« Der Respekt, den Karl bei den Männern genoss, bewirkte allgemeines Schweigen. Es gab im Moment Wichtigeres, als sich um die Kerkerhierarchie zu streiten.
Dietrich nahm Karl beiseite und sprach im Flüsterton:
»Hoffentlich verrät uns dieser Navarrese nicht.«
»Das müssen wir riskieren«, antwortete Karl mit bitterer Mine.
»Mal sehen, was wir von diesem Bernard erfahren. Vielleicht kann er uns ja sogar noch nützlich sein.«
Karl ging zu den französischen Seeleuten hinüber, die sich mittlerweile auch nicht mehr an den Eisenring gebunden fühlten, und sprach eine kleine Weile mit ihnen. Danach waren sie bereit, das Podest zum Kerkerfenster zu bilden, wobei der kräftige Sieki ihnen den Rücken freihalten wollte. Dietrich war erstaunt über Karls Redekunst, die er dem Preußen gar nicht zugetraut hatte. Als sie wenig später wieder ins Freie blickten, sahen sie Bernard schon über den Platz laufen. Er steuerte schnurgerade auf ihr Fenster zu.
Dietrich hielt sich im Hintergrund und wollte Karl die Sache überlassen. Der kannte den Kerl besser und es sollte kein Misstrauen aufkommen.
Bernard lehnte sich genau unter dem Fenster an die Wand und reinigte mit seinem Dolch die Fingernägel. So fiel das Gespräch
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