Im Kettenhemd (German Edition)
denn der Krone ging nach all den Jahren des Kampfes das Geld aus, und so durften sie im Angesicht des Feindes nicht riskieren, alles zu verlieren.
Lord Macenroy befahl, das Gold sofort aus der Burg zu schaffen und unter strengster Bewachung auf die Schiffe zu bringen. Den untersetzten, rundlichen Mann hatte die Unruhe gepackt. Keinesfalls wollte er in die bevorstehenden Auseinandersetzungen hineingezogen werden. Zwei der besten Kampfschiffe der englischen Flotte ankerten schon geraume Zeit an der nahegelegenen Küste und warteten auf seine Befehle. Der Schatzmeister war mit der kleinen Armada an die normannische Küste gelangt, um die Befehle des Königs zu überbringen. Der König verlangte schon seit Wochen nach der Beute und drohte bei weiteren Verzögerungen mit harten Strafen.
Lord Eshby eilte hinaus, um vom Turmzimmer aus zu sehen, was ihnen da blühte. Er riss die schweren Tuchvorhänge beiseite, schob die kunstvoll gearbeitete Fensterschließe hoch und öffnete das in der Sonne schillernde Butzenfenster weit nach außen. Was er sah, erfüllte ihn mit großer Sorge.
Wäre er doch nur im vorigen Monat nach England gesegelt, um dem König zu berichten, wie es einst sein Plan war! Allein, dem Grafen Nagelli wollte er das Kommando über Burg und Heer nicht anvertrauen. Der schöne Genuese mit den hellwachen Augen diente zwar seit langem der Krone, doch blieben ihm Zweifel an dessen absoluter Treue.
Lord Eshby sah den Aufmarsch von Tausenden auf sich zukommen und wusste nicht, wie viel Reserve der Feind noch verborgen hielt. Sollen sie kommen, dachte er bei sich. Das Chateau ist nach den neuesten Umbauten noch besser zu verteidigen als jemals zuvor, und einer Belagerung können wir lange standhalten. Die Vorratskammern sind voll, und ich habe genügend Soldaten hier, um euch die Suppe zu versalzen!
Noch am selben Abend jagte eine Kutsche mit fünfzig Mann Bewachung zur Küste, um den Großteil des erbeuteten Goldes auf die englischen Schiffe zu verladen. Es dauerte einige Stunden bis der Tross die staubige Ebene, die sich entlang der normannischen Westküste dahinzog, hinter sich gelassen hatte.
Von Bord der beiden Kriegskoggen konnten die Späher aus den Mastkörben weit ins Land schauen. Die sich nähernde Staubwolke hatten sie schon früh erkannt und dem Kommandanten der Schiffe gemeldet.
John Tailor drängte zur Eile. Der alte Seebär war einer der erfahrensten Kapitäne König Edwards und hatte schon als blutjunger Mann anno 1340 an der Seeschlacht im Zwin vor Sluis teilgenommen. Dort hatte die englische Flotte in Unterzahl die gesamte französische Kriegsarmada bezwungen.
»Lasst das Reep herab und dann Beeilung! Bald haben wir Ebbe und dann müssen wir hier verschwunden sein«, herrschte Tailor unerbittlich seine Seeleute an. Die Kutsche wurde schnellstens entladen und Lord Macenroy war froh, dieser ungastlichen Küste den Rücken kehren zu können. So schnell, wie es eben ging, war er das schmale Brett hinauf gestiegen. Das wacklige Handseil bot wenig Halt, und so hatte er seine liebe Mühe, die Bordwand zu erklimmen. Endlich an Bord, waren die schwankenden Planken des Schiffes nun sicherer Boden für ihn. In der Haut Lord Eshbys wollte er gerade jetzt nicht stecken, war der doch nun auf Gedeih und Verderb dem Schicksal ausgeliefert.
Schon ertönte die Pfeife des Bootsmannes, und der Anker wurde gelichtet. Die aufgeenterten Männer entfalteten in Windeseile die Segel, und der Rudergänger drehte das Schiff in den Wind.
Auch die andere Kogge tat es dieser gleich und so gelangten sie schnell aus diesen seichten Gewässern, die für einen Seemann meist nichts Gutes bedeuten, hinaus auf die See. Schnell entfernten sich die Schiffe aus den Augen der Zurückgebliebenen.
Die Ritter und leichten Reiter der Eskorte beeilten sich, noch vor dem Abend wieder zur Festung zu gelangen. Sie mussten nun ein zweites Mal an diesem Tage diese ungeschützte Ebene überqueren. Es blieb ihnen nur zu hoffen, dass die Franzosen keine starke Vorausabteilung entsandt hatten, um genau solche »Ausflüge« zu unterbinden. Sie ritten im scharfen Trab der untergehenden Sonne entgegen und hatten nach kurzer Zeit die Burgstadt schon fest im Blick. ›Nun noch die Senke vor dem alten Flusslauf, und dann kann schon fast nichts mehr passieren‹, dachte Sir William de Tracy, ihr junger Anführer. Ihre Staubwolke würde durch den etwas tiefer liegenden Flusslauf flach am Boden weggeweht, und mit jedem Schritt näherten sie sich den Toren der
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