Im Kettenhemd (German Edition)
war inzwischen nicht mehr ganz so mühsam wie vor zwei Wochen, denn die Seeleute hatten aus einem alten Sack eine Trittschlaufe gefertigt. Diese um zwei Gitterstäbe gebunden, konnte man es in ihr stehend recht gut aushalten.
Als Dietrich in den großen Hof blickte, waren die Vorbereitungen zur Verteidigung schon in vollem Gange. »Ein Hühnerhaufen ist eine geordnete Formation gegen dieses Gewimmel«, kam es spöttisch über seine Lippen.
An verschiedenen Plätzen hatten sie Steine, welche eben noch Baumaterial waren, zur Verwendung als Schleudergeschosse an den neuen Katapultrampen zusammengetragen. Die Soldaten und normannischen Ritter standen bereit und hatten ihre Positionen rund um die gesamte Befestigungsanlage bezogen.
Aus angemessener Entfernung spähte Rainier de Dijon durch sein Okular. Die stolze Anlage von Gaillard lag nun direkt vor ihnen, und ihre Eroberung stellte eine nie dagewesene Aufgabe für ihn selbst und die allermeisten seiner Gefolgsleute dar. Wer da meinte, dieser Angriff wäre ein Zuckerschlecken, sah sich schnell getäuscht, denn der gewaltige Anblick dieser Bastion, nahm so einigen der Français den Mut.
Die Verteidiger hatten alle Fackeln, die sie finden konnten, auf die Zinnen gebracht, wodurch die Silhouette der Feste noch gewaltiger umrissen wurde. Lord Eshby hoffte, auf diese Weise den Français den Angriffsmut zu nehmen und die Zauderer unter ihnen noch mehr zu beeindrucken. Am Haupttor hatte er die großen Bottiche mit Öl füllen lassen, welches den Angreifern ein »herzliches Willkommen« bereiten sollte.
Am Abend des 29. August anno 1372 hatte das große Heer der Français in guter Entfernung sein Lager aufgeschlagen. Kommandos tönten über die Lichtung und die Quartiermeister der Heeresteile und Rotten wiesen ihre Leute in die Lagerbereiche ein. In Windeseile hatten sie den Sichtschutz aus Weidengeflecht und auch die Schanzkörbe stehen. Eine große Pferdekoppel war alsbald abgesteckt und die Wachen eingeteilt. Noch am selben Abend standen die Ritterzelte zu Hunderten, und als die Dämmerung hereinbrach, brannten einige tausend Fackeln. Auch dieser Anblick verfehlte seine Wirkung bei den Engländern nicht. Junker Jörg hatte den Heerführer dazu gedrängt, kannte er doch nur zu gut diese Taktik von den Mauren.
Er selbst hatte sich davon beeindrucken lassen und einen Angriff auf den nächsten Tag verschoben, sodass dann seine Gefolgsleute mit dem Blick gegen die Sonne hatten kämpfen müssen. Dieses Gefecht wäre sicher ein Desaster geworden, wenn nicht ein gewisser Baron von Seidenpfad mit etwa zweihundert Rittern den Kampfplatz in ein Grab für die Kämpfer des Sultans verwandelt hätte. Diese ritterliche Streitmacht hatte in Keilformation angegriffen und sie ritt ohne Rücksicht auf Verluste alles nieder, was sich ihr in den Weg stellte. Als er dann noch König Alfons von Spanien vor der Gefangennahme rettete, wurde der Baron zum ersten Schwertträger des Königs ernannt. Nie zuvor war einem fremden Ritter diese Ehre zuteilgeworden.
Der Junker hatte das Lager seiner Ritter wohl gewählt, denn all die Jahre des Kampfes hatten einen schlauen Fuchs aus ihm gemacht. Eine Anhöhe in der Nähe des Waldrandes war strategisch optimal, das und so manches hatte er auch von seinem altem Kämpen und hoch geachteten Freund Dietrich gelernt.
Ja, der fehlte ihm wirklich sehr in dieser Stunde. Wenn er sich nur mit ihm beraten könnte, dann wäre ihm leichter ums Herz. Der Anführer der Ritter in diesem alles entscheidenden Kampf zu sein, bedrückte ihn, und auf seinem frohen Wesen lastete die Ernsthaftigkeit dieser Aufgabe. Die Verwundung hatte er an diesem Tage fast nicht mehr gespürt, dennoch raubte sie ihm einiges an Kraft. Als er sich dann abends zur Ruhe legte, hatte ihn der Schlaf bereits übermannt, bevor er die Stiefel ausziehen konnte. So hatte der gute Cedric seine liebe Mühe mit ihm, aber er tat treu seinen Dienst. Die Tapferkeit des Junkers hatte den jungen Mann tief beeindruckt und in seinem Abendgebet dankte er dem Herrn, solchen Männern dienen zu dürfen. Er selbst wünschte sich dennoch nichts sehnlicher, als dass sie seinen Herrn Dietrich bald aus den Händen der Normannen würden befreien können.
Drei Reiter, welche die Forderungen des französischen Königs nach Chateau Gaillard überbracht hatten, sprengten soeben heran. Abrupt riss der Chevalier de Petijon die Zügel zurück und schleuderte die Lanze mit der Flagge der Unterhändler weit von sich, sodass sie sich
Weitere Kostenlose Bücher