Im Kinderzimmer
irgendwelcher Art.
Mrs. Harrison erspähte John Mills, als er auf dem Heimweg auf der gegenüberliegenden Straßenseite am Haus vorbeizog und herüber-224
blickte. Sie mußte an eine Schildkröte denken, wegen seines ängstlich zwischen den Schultern vorgeschobenen Kopfes. Hinterm Fenster von Mrs. Pearson Thorpes Arbeitszimmer winkte sie ihm zu, doch die Scheiben waren nach dem frühmorgendlichen Besuch eines Fensterputzers so blitzsauber, daß John das Winken nur als schwarzen Schatten wahrnahm. Mrs. Harrison war beim Staubwischen und entfernte bei dieser Gelegenheit die Flaschen und die klebrigen Glä-
ser, die hinterm Sofa standen, auf dem nach wie vor der Schuhkarton mit dem Familienschmuck lag, Zustände, die Mrs. Harrison ein miß-
billigendes Kopfschütteln entlockten. So nachlässig! Harrison, ihre bessere Hälfte, saß im Souterrain und guckte mit den Kindern fern, blöde Sendungen, von denen sie nichts hielt, Kricket oder Zeichen-trickfilme, genau wußte sie es nicht mehr, aber passend für einen solch brütend heißen Nachmittag. Jeanetta hätte sich das nicht bieten lassen, hätte lauthals protestiert gegen das Herumsitzen – warum war sie eigentlich so dick bei all der Bewegung? Mrs. Harrison schlug und schüttelte die Sofakissen wütend zurecht, verlor das Interesse, kehrte ans Fenster zurück, getrieben von einer unerklärlichen inneren Unruhe und von Zorn. Arme Kleine. Jeanetta war seit zwei Wochen von der Bildfläche verschwunden. Statt daß sie mal zum Spielen herüber gedurft hätte, schlecht für Kinder, diese abrupten Umstellungen! Mrs. Harrison hatte zweimal nebenan geklingelt und angeboten, die beiden in den Park mitzunehmen. Und was war der Dank? Glatt abgeblitzt. Dieser David Sowieso mit seinem aufgesetzt höflichen Grinsen, »danke, sehr liebenswürdig, aber sie ist mit jemandem unterwegs, vielleicht ein andermal«. Mrs. Harrison kannte ihren Platz, wußte durchaus, was ihr in ihrer Stellung zustand. Wiederholte Nachfragen waren nicht angebracht. Und trotzdem würde sie fragen, würde sie es verdammt noch mal wieder tun! Daß sie selbst Katherine nicht hereingelassen hatte, als sie herübergekommen war, stand auf einem anderen Blatt. Auch Harrison hatte sie abgewiesen. Nicht die Mutter interessierte sie, sie interessierten nur die Kinder.
Mrs. Harrison stand unschlüssig am Fenster, wühlte in ihrer Tasche und fischte die Zigaretten heraus. Scheiß drauf, das Zimmer war ohnehin muffig, und ihre werte Arbeitgeberin würde es gar nicht merken. Trotzdem öffnete sie vorsichtshalber ein Fenster, dann, aus 225
einer Laune heraus, zog sie sich einen Stuhl heran, setzte sich und legte die Füße auf die Fensterbank. Warum auch nicht? Außerdem sehr praktisch: die Asche konnte gleich zum Fenster hinausge-schnippt werden. Sie mußte husten; die grünen Damastvorhänge saßen voll Staub. Einmal ordentlich schütteln, dachte sie, und ich würde unter einem Berg toter Fliegen begraben, aber wenn es Mrs.
Pearson gleichgültig ist, sehe ich nicht ein, warum es das mir nicht auch sein soll. Auf einmal schnellte ihr Oberkörper vor. Von unten heraufgeweht, hatten ihre scharfen Ohren den Klang der Stimme des kleinen Jeremy Allendale vernommen, nicht deutlich auszumachende Worte, aber der hohe, fragende Tonfall war unverkennbar seiner. Sie schob ihren Busen über die Fensterbrüstung und sah Vater und Sohn in vollkommenem Einvernehmen von links nach rechts die Straße überqueren und zu Allendales Wagen gehen, Seite an Seite, dicht, aber ohne sich zu berühren. Dann blieb ihr fast das Herz stehen: Großer Gott! Da war der verflixte Penner, drückte sich auf der Fah-rerseite des blitzenden Wagens herum, derselbe dreckige Kerl, der in dieses Haus geschlichen war wie eine diebische Elster, eine jämmerliche Figur, zerknittert, braun wie eine Nuß. Mrs. Harrison beugte sich noch weiter zum Fenster hinaus. Gerade war sie im Begriff zu rufen: »Halt Dieb! Halt ihn fest, Jerry, mein Junge! Siehst du denn nicht, daß es derselbe Lump ist, derselbe miese kleine Kerl! Haltet die Sau, ruft die Polizei!«, besann sich dann eines Besseren und zog sich rasch so weit zurück, daß man sie von unten nicht sehen konnte, schüttelte den Kopf bewundernd über ihre eigene Geistesgegenwart.
Dann lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und warf die nur zur Hälfte gerauchte Zigarette unwirsch aus dem Fenster. Keine Gefahr, daß Klein-Jerry den Dieb wiedererkennen würde, sie wußte doch, wie kurz das Gedächtnis eines
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