Im Kinderzimmer
Ihr Heim war großzügiger und stilvoller als jedes der beiden anderen, und die Lage – wenige, mit alten Bäumen gesäumte Alleen vom Hyde Park entfernt – eine ganz andere. Ein weiterer Vorzug ihres Hauses war sein würdiges Alter, etliche Jahrzehnte hatte es den beiden anderen moderneren Symbolen des Erfolgs voraus, bot weniger Funktionalität und dafür weit, weit mehr Platz. Jeder seiner Räume war um einiges größer, wohlgestalter, jede Decke höher. An der Straße standen mächtige, alte Kastanien, der ganze Stolz der Nachbarschaft, Wahrzeichen eines Jahrhunderts des Wach-stums. Mit David hatte sie immer hier gewohnt, erst er, dann war sie zu ihm hierher gezogen, berauscht von der märchenhaften Pracht 38
seines Domizils, dieses ach so sicheren Hafens. Seitdem hatte David das Haus ständig verbessert, verfeinert, veredelt, hatte Katherine genau angewiesen, was in welcher Ecke zu tun war. Dazu angelegt, Bewunderung hervorzurufen – denn tat es das nicht, würde Davids wohlhabende Klientel kaum von ihm schwärmen noch ihn in der Hoffnung konsultieren, ähnlich beeindruckende Ergebnisse mit ihren eigenen Häusern zu erzielen – strahlte das Haus auf trügerisch schlichte Weise Vornehmheit aus. Zimmer mit Aussicht, hatte Monica einmal im Scherz gesagt, als sie in der mit italienischen Fliesen ausgelegten Küche erstmals die Sitzgarnitur sah. Keine gewöhnlichen Küchenstühle, nein, Sessel, farbenprächtiger noch als ihr Märchenmantel. »Genau das ist euer Erfolgsgeheimnis«, hatte Monica gestöhnt, »nie im Leben wäre ich darauf gekommen, Sessel in die Küche zu stellen! Käme mir geradezu sündhaft vor!« Auf den groß-
zügigen Garten hinterm Haus gingen stilvolle Flügeltüren hinaus, und gegenüber – mühelos einsehbar von Herd, Spüle oder jedem anderen beliebigen Punkt in der Küche aus – endete der Raum in einem sonnendurchfluteten Erker, gedacht als Kinderspielecke. Für Jeanetta, und bald auch Jeremy, der jetzt schon zielstrebig darauf zukrabbelte, wie auf alles Neue. Ursprünglich, in Vorküchenzeiten, hatte dieser Trakt, der die Hälfte des Erdgeschosses einnahm, aus drei kleineren Räumen bestanden. Damals war die Spielecke wohl Spülküche oder Bedienstetenkammer gewesen. Jetzt war alles Kü-
chengerät hinter Schrankwänden, die den Lärm schluckten, im Arbeitsteil der Küche untergebracht, so daß der Erker ganz dem kindlichen Spieltrieb vorbehalten blieb. David hatte, wie es seine Art war, sämtliche Originaltüren aufbewahrt. Er würde schon Verwendung für sie finden, hatte er Katherine erklärt, wie für alles andere, was aufzuheben sie angewiesen war. Sie hatte sich strikt an die Order gehalten und nichts mehr, aber auch gar nichts, weggeworfen. Selbst der Müll wurde penibel sortiert. Ohrringe ohne Zwilling, Perlen gerissener Ketten, kaputte Armreifen, Strümpfe mit Laufmaschen, abgetragene Kleider – ihre wie die der Kinder – füllten nach und nach Schubladen und Fächer, fein säuberlich gestapelt, bis er schließlich präzisiert hatte: »Aber doch nicht ausnahmslos alles, Liebling, nur das, was noch von Nutzen sein könnte.« Er hatte den Schmuckramsch fortge-39
tragen und hatte Steine und Ohrschmuck zu einer langen Kette um-arbeiten lassen, einem symbol- und geschichtsträchtigen Stück von solch liebevoller Originalität, daß ihr Tränen der Rührung in die Augen stiegen, als er sie ihr überreichte. Davids Großzügigkeit war mitunter von solch kreativem Flair; dann liebte sie ihn um so mehr, verehrte ihn geradezu. Die Kindersachen und ihre alten Kleider waren ohne viel Aufhebens Oxfam vermacht worden, mit Ausnahme der Abendkleider, die in den Spielerker kamen, für Jeanetta, zum Verkleiden.
Daran dachte Katherine, als sie hinaufging in ihren Umkleideraum, wo sie die elfenbeinfarbene Leinenkreation ablegte und gegen eine Wollhose und eine Kaschmirjacke tauschte, besagte Kette anlegte und in flache Pumps schlüpfte, mit raschen, routinierten Bewegungen, lautlos, aber nicht gedankenlos. Sie hatte draußen den Obdachlosen wankend am Auto lehnen sehen. Sie hatte ihn nicht aufgefor-dert, weiterzugehen, wie es David sicherlich getan hätte. Sie zog die Jacke wieder aus, liebkoste die weiche Wolle – ein Luxus, dessen sie nicht müde wurde –, wählte statt dessen den gerippten, eng anliegen-den Pullover, den David bevorzugte. Ich bin ein Glückspilz, dachte sie, ich habe solches Glück. Kann beliebig Kaschmirpullover wechseln, wo ich sehr wahrscheinlich nie auch nur
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