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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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nirgends zu sehen, es wurde jeden Tag woanders abgestellt, und sie brächte es nicht über sich, jetzt in der Handtasche nach einem weiteren Schlüssel zu suchen – der ohnehin nicht da wäre. Und David war fort, hatte sie verlassen, war geflohen. Nie mehr würde das Haus hinter der verschlossenen Tür ihn beherbergen; sie wäre fortan allein, mittellos und gezwungen, seine Abwesenheit zu erklären – ein weiteres, wenn auch mit Sicherheit ihr größtes, Versagen.
    Jeanetta hatte aufgehört zu brüllen, als sich die Heimkehr und die damit verbundene Demütigung des Zubettgehens als unausweichlich erwiesen hatte, hatte ihr Geplärre eingestellt, wie sie es tat, wenn ihr Publikum Desinteresse zeigte. Das Wimmern, das auf das Gebrüll folgte, verstummte ebenfalls bald, in dem Moment nämlich, als Jeremy loslegte. Während die eine Stimme aussetzte, hob die andere, stetig schriller werdende an – ein dissonantes Duett. Jeanetta saß zusammengesunken auf den Stufen und betrachtete stumm und ratlos Jeremy, der mit einer keineswegs sauberen Hand an Mamas Rock-schößen zerrte, während er »Dada! Dada!« schrie, das am häufigsten verwendete Wort seines Rumpfvokabulars. Katherine ihrerseits schnürte ein erstickter Kinderschrei die Kehle zu. Nicht nach Dada, nur nach David. Wo in dieser gewaltigen Stadt war er bloß? Warum war er nicht hier? Ihr verhinderter Schrei erstarb im gleichen Moment, da Jeremy zu seiner zweiten Strophe ansetzte und da sich die Tür öffnete und er erschien: der Papa. Etwas abwesend und überrascht vom Aufruhr draußen. Strahlende Gesichter. David trat einen Schritt vor und nahm Jeremy rasch hoch.
    »Was um alles in der Welt macht ihr denn hier draußen?«
    Alles löste sich in Wohlgefallen, in Erleichterung auf. »Die Tür war abgeschlossen«, erklärte sie.
    »Natürlich. Wie immer. Sie ist immer abgeschlossen. Und es ist ein neues Schloß drin, das weißt du doch. Seit zwei Tagen. Das alte war kaputt, das weißt du doch.«
    Sie strich sich die Haare aus den Augen, unbewußt die Spuren der Auflösung beseitigend, bedingt durchs Bücken und Drehen, als sie unter Einsatz des ganzen Körpers den Schlüssel zum Drehen zu be-92
    wegen versuchte. »Ich habe es vergessen. Du hast mir aufgemacht: Gestern und vorgestern.«
    »Wie ich es auch heute getan hätte, wenn du geklingelt hättest, Dummerchen.« Das Grinsen, das die Worte begleitete, war voller Zuneigung.
    Das hatte sie aber doch, dachte sie, ihren Finger auf dem Klingelknopf noch vor Augen. Aber sie lächelte noch immer vor Erleichterung. Bloß nicht deswegen streiten. Jeremy und David sahen aus ihrer großen Höhe wohlwollend auf sie herab, Kopf an Kopf. So war Jeremy in seinem Element.
    »Nun steht doch da nicht so herum, ihr Dummchen«, neckte David Katherine und Jeanetta, die wie eine fette Tulpe mit hängenden Schultern wartete und ihn von unten angrinste, als könnte der schrä-
    ge Blick die Chancen erhöhen, beachtet zu werden. »Ihr seid doch hier zu Hause. Kommt herein.«
    Katherine drückte die Tüten vom Markt noch fester, noch tiefer in die Tragetasche aus der Boutique, nahm diese hoch und trat ein. Daheim. Das Zuhause, das sie ihr Leben lang gesucht hatte. Ohne das sie eingehen würde wie eine Primel. Und das in letzter Zeit ins Wanken geraten zu sein schien.
    John Mills drehte seinen Schlüssel im Schloß der Haustür und stieg die Treppen hinauf. Endlich daheim. Doch das Wissen war von keinerlei Erleichterung begleitet, im Gegenteil, eher wunderte er sich, daß der Haustürschlüssel bei einer derart mit Grafitti, Fausthieben und Fußtritten traktierten Tür überhaupt noch etwas auszurichten vermochte. Er wohnte seit ewigen Zeiten in diesem Haus, hatte gleichgültig die Veränderungen im Viertel verfolgt, mit Ausnahme der Einrichtung des Schnellimbisses im Erdgeschoß. Nicht die Bus-haltestelle und nicht die Ampel direkt vor seinem Wohnzimmerfenster hatten ihn gestört, auch wenn sie zur Folge haben konnte, daß ihm dreißig Passagiere aus dem Oberdeck des Busses beim Essen zusahen und auch die Küche ihrem Blick freigegeben war. »Zimmer mit Aussicht« hatte er gescherzt und auf die Klinik für sexuell über-tragbare Krankheiten gedeutet, auf die man schaute, ebenso wie auf das Arbeitsvermittlungsbüro ein Stockwerk darüber, wenn nicht gerade ein Doppeldeckerbus hielt. Möglich, daß links und rechts der 93
    Edgeware Road der Lebensstandard höher war, doch der reichte nicht bis in diese Ecke, hier herrschten Verkehrslärm

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