Im Kinderzimmer
nicht etwa eine Ersatzmutter sah, das nicht. Nein: indem sie Anteil nahm am Wohlergehen der alten Mrs. Allendale, tat sie ihrem Hel-fersyndrom Genüge und erhaschte zugleich, wenn auch aus zweiter Hand, einen Zipfel von Katherines Leben. David Allendale wußte davon nichts, Katherine ahnte es höchstens, und doch gaben die regelmäßigen Besuche Mary eine zwar obskure, aber wichtige Rolle im Leben der Allendales.
Die Motive hätten Sophie Allendale keineswegs erfreut, was jedoch nicht hieß, daß sie nicht froh war um jegliche Art von Gesellschaft, besonders, als sie jetzt die Straße zu ihrem Häuschen in der Terras-sensiedlung Hampstead Mews hinauftrippelte, welches ihr David zur Verfügung gestellt hatte und um das sie ebenfalls froh war – meist jedenfalls. »Also wirklich!« beschloß sie, der einen Nachbarin anzuvertrauen, die ihre Existenz überhaupt zur Kenntnis nahm. »Ich dachte nicht, daß ich so früh wieder hier sein würde! Ein furchtbarer Nachmittag! Wäre ich doch lieber zum Einkaufen gegangen.« Das Mittagessen bei Sohn, Schwiegertochter und den Enkelkindern war alles andere als ein Vergnügen gewesen. Katherine war dauernd aufgesprungen und murmelte etwas vor sich hin über Dinge, die sie verlegte und nicht wiederfand: ihr neues Kostüm ebenso wie die Sachen aus den riesigen Küchenschränken aus edlem Holz. David hatte sich ganz in die Pläne für die Abtrennung des Spielerkers mit einer eigenen Tür vertieft. Nicht einmal eine neue Tür sollte das sein, sondern eine der schweren alten Türen mit Füllungen aus massivem Holz aus dem Keller. Monströs. Von Gipskarton – was immer das war – hatte er geschwafelt, zur Eindämmung der Unordnung. Na ja, sicher brachte Jeanetta einiges in Unordnung, wenn sie die Spielsachen herausschleppte, aber was erwarteten sie denn? Katherine, die gesagt hatte, er bringe Schlösser an sämtlichen Türen im Haus an, 108
und sie wüßte nicht, wieso. Das lag doch auf der Hand, oder? Um andere fernzuhalten, was sonst, aber sämtliche Küchenschränke damit zu versehen, das war ja wohl doch etwas übertrieben. Na ja, David würde schon wissen, was er tat. Nur gelegentlich fragte sich Sophie, bei aller Pingeligkeit, ob dem wirklich so war. Und dann das Essen! Grauenvoll, einfach grauenvoll. Verwirrt hatte sie vom einen zum anderen geschaut, glücklich zwar, bei ihnen zu sein, aber sie fühlte sich nicht wohl. Und kaum zu glauben, was er ihr anvertraut hatte, als er sie noch ein Stück die Straße hinunterbegleitet hatte: daß Katherine sie nicht gerne bei sich habe und nur so tue, als ob.
Als Mary kam, ging es Sophie schon wieder besser, die Beklemmung wurde gemildert durch die Vorfreude auf Tee und Schokola-denkekse. Dennoch war sie froh, durch den Spion in der Tür ein menschliches Antlitz zu erblicken. Auch wenn es bedeutete, daß sämtliche Riegel zurückgeschoben und alle Schlösser aufgeschlossen werden mußten, die ein fürsorglicher Sohn in altvertraut neurotischer Allendale-Manier angebracht hatte. Mutter und Sohn wußten sehr wohl, wer auf diese Weise ferngehalten werden sollte, auch wenn es sonst niemandem bekannt war: Einbrecher und Gerichtsvollzieher und Daddy. Sophie hatte die Schrecken mittlerweile auf das Gespenst Einbrecher reduziert; Daddy war schließlich tot.
Mausetot. Jeden Tag sichtete Sophie ihre Papiere, alle Dokumente, die von ihrer Ehe zeugten, sämtliche Gerichtsunterlagen, nur um sicherzustellen, daß Daddy wirklich und wahrhaftig tot war. Er war es.
Mary rauschte zur Tür herein, als habe es keinerlei Verzögerung gegeben. Sie ignorierte geflissentlich Sophies tränenumflorten Blick, der ihr nicht entgangen war. »Tag, Oma«, grüßte sie forsch in jenem unbewußt herablassenden Ton, den andere von ihr betreute Senioren übelnahmen, was sie nicht ahnte, den Oma Allendale jedoch zu genießen schien. »Wie wär’s mit einer Tasse Tee?« Auf Mary lasteten zwei Stunden Zeit, die totzuschlagen waren. Sophies Lebensgeister erwachten wieder. Ihre Kopfhaut mit den braun gefärbten, sorgfältig frisierten Löckchen und dem grauen Haaransatz zuckte, als sie den Kopf schüttelte und auf den Sessel im Wohnzimmer zusteuerte. Heute nachmittag durfte sie achtzig sein. Sollte Mary den Tee kochen.
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Beunruhigende Vorstellungen ließen Sophie ihre ohnehin nicht sonderlich ernst genommenen Gastgeberpflichten vergessen, ja, sogar die Kekse.
»Warst du bei Katherine?« fragte Mary so munter wie nur möglich und setzte das gute Teeservice mit derart
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