Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
Vom Netzwerk:
bellen. Ein Baby antwortete mit Geschrei. Während das Kinderweinen anhielt, klopfte er noch einmal, bis an seinem Ohr, so dicht, daß er erschrak, eine Stimme erklang: »Was willst du, Mann?« John hatte das grummeln-de Echo auf der anderen Seite der Tür vermutet, auf der noch seine Hand lag. Prügel, die er bei einem seiner Besuche bezogen hatte, hatten sein Gehör geschädigt: Auf dem linken Ohr war er leicht taub, auch auf dem rechten hörte er nicht gut.
    »Scheiße, Mann, was willst du?« wurde er abermals gefragt. Eine riesige Pranke senkte sich auf seine Schulter herab und stieß ihn zurück. Überrascht drehte er sich einem riesigen männlichen Indivi-duum zu, mit gewaltigem Brustkorb und tiefer Stimme, etwa dreißig.
    Solche Details nahm John schon automatisch wahr, registrierte sie für die Berichte, Berichte, die die ganze quasi-behördliche Maschine-rie in Gang setzten oder zum Stillstand brachten – schwere Verantwortung. Der Kerl überragte ihn um gut dreißig Zentimeter. Ein verdreckter Blaumann, Haare rotmeliert, als wäre mit zweifelhaftem Erfolg ein Färbemittel benutzt worden. Deutlich zu erkennen – aber für einen Bericht untauglich – war die mühsam unterdrückte, stille Wut im verschlossenen Gesicht, und deutlich wahrnehmbar die süß-
    liche, Übelkeit erregende Ausdünstung seines Körpers, die John an Kat erinnerte und die in Wellen von dem Mann ausströmte und sie beide schwül umschloß. Die Augen unter dem krausen Haar waren rotunterlaufen und blickten feindlich, die Hände zu Fäusten geballt.
    John betete in beschwichtigendem Ton sein Sprüchlein herunter, verspürte aber mit einem Mal eine tiefe Hoffnungslosigkeit. Und Angst. Angst, gegen die er einst immun gewesen war, unter der er nun aber regelmäßig litt. Er stotterte: »Ich komme nicht von der Stadt, nicht von der Polizei, nicht vom Sozial…« Selbst in seinen 114
    Ohren klang die alte Leier wenig überzeugend. Er wurde unterbrochen. »Was willst du dann, Mann?« John fuhr fort, verzweifelt nun schon: »Ach, nichts weiter, es ist bloß, nun, ich hörte, Ihr Kind wäre ein wenig kränklich, wissen Sie. Daher dachte ich, ich schau mal vorbei und frag, ob ich irgendwie helfen kann…«
    » Unser Kind. Geht dich nix an.« Die Finger der Hände öffneten und schlossen sich – wie Lockerungsübungen eines Pianisten vorm Spiel. John blickte dem Kerl ins Gesicht, geriet angesichts des Ausdrucks in den Glupschaugen ins Stocken. Der Himmel, den man über dem Treppengeländer des sechsten Stocks sehen konnte, färbte sich dunkel. Bitte glauben Sie mir, ich komme, um zu helfen, nicht um zu verdammen – unnütze, unausgesprochene Beteuerungen. Statt dessen sagte er: »Ob ich wohl einen Augenblick hereinkommen und auch Ihre Frau begrüßen dürfte? Ich habe etwas mitge…« Er klopfte auf die Tasche seines weiten Jacketts, wie um zu demonstrieren, daß er nur Süßigkeiten, keine Durchsuchungsbefehle, Vorladungen oder dergleichen amtlichen Zündstoff bei sich führte, wußte aber im gleichen Moment um die Sinnlosigkeit der Geste.
    »Du bist heute schon der Zehnte, Mann«, sagte die Stimme ange-
    ödet.
    »Tatsächlich?« meinte John, seine Stimme, hoch und leicht, nä-
    selnd, verriet die bewußt verleugnete, zutiefst verachtete gute Erziehung. »Nun, wenn ich nur einen Augenblick hereinkommen dürf-te…« Über die Vergeblichkeit von Süßigkeiten für minderjährige Mütter und glücklose Kleinkinder dachte er nach, darüber, daß er so willkommen war wie ein Handelsvertreter oder Gerichtsvollzieher, als die Faust seinen Unterkiefer traf. Um so härter traf, als sie unerwartet traf. John wankte, spürte benommen, wie ein Zahn nachgab, schmeckte das Blut, das in den Mund schoß. Wie Eisenspäne.
    »Der Zehnte heute, Mann, der gottverdammte Zehnte… was steck-ste deine Nase da rein, du Wichser…«
    »Lassen Sie doch«, stammelte John, als er gegen die Wand fiel,
    »das ist doch unnötig, schon gut, schon gut…«
    »Der Zehnte«, wiederholte der Kerl. »Die vonner Behörde und die Nachbarn und die Hausverwaltung und der Pfaffe und ihre Mutter und die Bullen. Und die annern. Laßt uns in Ruhe, ihr Wichser.« Er 115
    drosch im Takt der Silben auf John ein, gezielte Schläge, ebenso systematisch wie gelangweilt plaziert: mit der Rechten nacheinander auf beide Augen – die Linke hielt John am unauffälligen, nicht-dienstlichen Aufschlag fest –, Wechsel, und mit der Linken das Ganze noch mal, härter. Als sich die Stille vom fernen

Weitere Kostenlose Bücher