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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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Brausen des Verkehrs unterscheiden ließ, hatte der Hund drinnen aufgehört zu kläffen. Der Mann schleifte John zum Geländer, packte ihn an Hosenbo-den und Kragen und hob ihn halb darüber hinweg, ließ John mit halb geschlossenen Augen, den Brustkorb vom eisernen Handlauf zu-sammengedrückt, eine Minute lang reglos hängen und zusehen, wie sein Blut aus schwindelerregender Höhe auf die Galerie ein Stockwerk tiefer tropfte. Da hing er, festgehalten nur von seinem Angrei-fer, mit leerem Kopf, ohne Angst, benommen vom Schmerz, doch klar genug, sich noch schlaffer, noch schwerer zu machen – ein Nichts, das umzubringen sich selbst im Rausch derartiger Wut und Adrenalinstöße nicht lohnen würde. Dann spürte er, wie er nach hinten zurückglitt und seine linke Wange am Beton der Brüstung entlangschürfte. Er sackte zu Boden. Keine Pranken hielten ihn mehr.
    Er rang nach Luft.
    »Verpiß dich, Wichser!« hörte er eine Stimme, ohne sie orten zu können. »Verpiß dich endlich!«
    Die eigene, müde in einer abwehrenden, beschwichtigenden Geste erhobene Hand – Parodie des Sich-Ergebens –, sah er nicht, fühlte sie sich bloß bewegen. Dann kroch er aufs Treppenhaus zu. Die Bonbontüte in seiner Tasche schlug gegen seine Hüfte. Der Mann verfolgte diesen Abgang im Schneckentempo noch einen Augenblick lang, dann klopfte er an die Wohnungstür. Ein Lichtkegel breitete sich im Laubengang aus. John wartete keuchend neben der Treppe und schleppte sich dann qualvoll langsam hinunter. Die Bonbons knirschten an seinem Hüftknochen. Kätzchen, hungrige Kätzchen –
    sein einziger Gedanke. Er sah ihre Augen vor sich. Er mußte heim.
    Mary nutzte den Abend, um einen weiteren Bericht zu prüfen – »Mo-tivierung von Wohlfahrts-Aushilfskräften«. Der blanke Hohn, samt Überschrift, dachte sie und las: »Bei der gegenwärtig desolaten Lage, bei der der Selbsthilfe in den Gemeinden eine immer größere Rolle zufällt und der Einsatz schlecht oder nicht bezahlter Helfer unver-116
    zichtbar ist, schlagen wir vor, daß Mitarbeiter, die sich durch besonderes Engagement hervorgetan haben, Anerkennung in Form von Ehrungen durch die Körperschaft erhalten.« Die Lösung ist ganz einfach: Bezahlt sie besser! dachte Mary. »Wir plädieren dafür, daß nur die weniger qualifizierten und dennoch unermüdlich einsatzbe-reiten Aushilfskräfte bedacht werden, denn unsere qualifizierten Mitarbeiter erhalten Entschädigungen anderer Art. (…) Anbei eine Liste derjenigen, denen unseres Erachtens eine Ehrung in Aussicht gestellt werden könnte.« SCHWACHSINN kritzelte Mary an den Rand.
    »Was ist? Warum schläfst du nicht? Was machst du denn noch für einen Lärm?«
    »Ich habe gesingt, Mama. Erzähl mir eine Geschichte.«
    »Ich kenne keine Geschichten.« Katherine packte das Federbett wieder um Jeanettas dicke Beinchen.
    »Aber Mrs. Harrison kennt viele Geschichten. Und Gesinge.«
    »Lieder«, korrigierte Katherine.
    »Dann sing das«, bat Jeanetta. »Wo ist die kleine Maus geblieben?
    Die Katzen, miau, die wissens genau: hat nicht still gesessen, haben sie se aufgefressen…« Sie leierte die Worte ohne Melodie. Es war das Geräusch, das Katherine angelockt hatte.
    »Das kenne ich nicht«, sagte Katherine, die bereits wieder an der Tür stand und am neuen Schloß herumfummelte, das ins Holz versenkt und kaum zu sehen war. Sie spähte den Gang hinunter, um zu sehen, ob David noch unten war, und wandte sich dann wieder Jeanetta zu. Ein wenig abwesend, ein wenig traurig betrachtete sie das Kind, dessen Anblick erneut Verärgerung und Schuldgefühle weckte.
    Sie hatte nicht verhindern können, daß Jeanetta frech zu Sophie war, nachdem sie selbst sie in Rage gebracht hatte mit ihrer Unaufrichtigkeit Sophie gegenüber, was die gestutzten Haare anging. Jeanetta rebellierte immer, wenn man ihr den Mund verbot. Aber Katherine hatte die Lüge und ihre Folgen der Katastrophe vorgezogen, daß David sie andernfalls durch sein Schweigen strafen könnte. Also war es ihre Schuld, wenn Jeanetta, die sie barsch angefahren hatte, ihre sauberen Kleider mit Lachs und Mayonnaise bespritzt und dann Himbeeren und Sahne zu einem knallrosa Brei zerdrückt und ihre 117
    Beine damit eingeschmiert hatte. Aufruhr, als ihre Beine brannten von Katherines Schlägen. Mein Gott, das alles hatte sie geschehen lassen. Warum verzieh ihr dieses unglaubliche Kind? Und dann hatte sie Sophie auch noch gehen lassen, ohne sich richtig zu verabschieden und ohne richtig mit ihr

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