Im Kinderzimmer
wahr! Eingebildetes Flittchen.«
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Besser, so zu tun, als habe sie sich alles nur eingebildet, besser, die Sache im selben dunklen Loch verschwinden zu lassen wie die Kindheitserinnerungen – Bilder der Verlassenheit, zwei schlaglicht-artig belichtete Bilder innerhalb von nur zwanzig Minuten, Alpträu-me, ihr hart auf den Fersen, als sie sich zu ihrer eigenen Haustür hinüberschleppte und schellte. Kein Grauen so bodenlos wie verlassen zu werden! Also geh nach Hause, die einzige Rettung, draußen ist das Nichts. Jeremy saß wieder in seiner Karre, Jeanetta ging hinterher. Dann David an der Tür, ein großmännisches Willkommen.
»Hallo, Liebling! Du siehst ja blendend aus. Hast du deinen Schlüssel vergessen?«
Er drückte ihr einen flüchtigen Kuß auf die Wange, pflückte Jeremy aus der Karre, wandte sich um, um hineinzugehen, hielt Jeanetta seine freie Hand hin. Als diese sie nicht nahm, legte er den Arm um seine Frau und zog sie sanft über die Schwelle. Er roch nach Dusche, nach teurer Seife, nach verräterischer Reinlichkeit, und er strahlte diese Aura körperlicher Kraft aus, zu der sie sich immer schon hingezogen gefühlt hatte. Er freute sich augenscheinlich, sie zu sehen, wirkte besorgt. »Was hast du denn, mein Schatz? Du siehst müde aus.«
»Nichts«, antwortete sie. Sie schluckte und zwang sich, sein Lä-
cheln zu erwidern: »Nichts. Gar nichts.«
Monica erreichte den sicheren heimischen Hafen, die farblose Kinderfrau und die hyperaktiven Kinder mitten in einem Streit. Alles wie gehabt. Auf der Heimfahrt in der U-Bahn war sie sich des Geruchs des Geschlechtsakts peinlich bewußt gewesen: dieser beißenden Mischung aus Schweiß und klebrigem Männersaft, die an ihr haftete. Im Mund der Nachgeschmack des süßen Weinbrands. Sie machte sich klein im Gedränge, genierte sich wegen der dunklen Flecken unter den Achseln der kirschroten Bluse, wegen des klebrigen Gefühls zwischen den Schenkeln, bildete sich ein, das Schuldgefühl stünde ihr ins Gesicht geschrieben, für alle sichtbar. Doch es zeigte niemand mit dem Finger auf sie, und die Kinder reagierten nicht anders als sonst. Die saure Miene der Kinderfrau war nicht neu, nichts hatte sich verändert außer dem Schlag ihres Herzens. Monica atmete ein und aus wie sonst auch; nichts einfacher als ein Ehebruch.
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Sie stopfte sämtliche Kleider in den Wäschekorb und stellte sich dann unter die Dusche, glühend vor Stolz. Sie brannte darauf, es zu erzählen. Sie mußte es erzählen, sie würde es unbedingt erzählen müssen! Diskretion war nicht ihre Stärke. Außerdem war da noch die Einladung, die heute mit der Post gekommen war. Davids vierzigster Geburtstag. Noch lang hin, das ja, aber bald wäre es, bald. In rasen-dem Tempo spulten Gedanken ab, immer wieder ertappte sie sich bei einem selbstvergessenen Lächeln.
Für den Obdachlosen gab es keinen Ort, an den er hätte zurückkehren können oder wollen. Seine Kenntnisse selbst dieses überschaubaren Teils von London waren begrenzt, und das wurde ihm ständig zum Verhängnis. Vor Wochen war er anderswo weggefegt worden wie städtischer Müll, war aus seinem Schlafplatz im Westen, in der Nähe von Charing Cross, vertrieben worden, als der Platz sich über Nacht in eine schlammige Baustelle verwandelte. Als er eines Abends gedankenlos wieder dorthin gestrebt war, war er mit dem Kopf gegen ein Gerüst gerannt, er hatte keinen seiner streitsüchtigen Kumpel angetroffen, dafür aber einen Wachmann mit Hund. Beide hatten ihn angebellt. Also hatte er den Lokalen, geräumigen Pappkartons und den Billighotels der Innenstadt, die er verachtete, den Rük-ken gekehrt, hatte die Ortsveränderung jedoch mit einer völligen Desorientierung und einem Bruch mit allem Erinnerten teuer bezahlt, denn obwohl der Wechsel der Routine scheinbar nur eine Verlage-rung war, so stellte er in Wahrheit einen bedenklichen Einschnitt dar.
Er kannte sich nicht mehr aus, war hier nicht zu Hause, und der Mit-leidsquotient in den vornehm ruhigen, geordneten Straßen erwies sich als bedeutend geringer.
Also waren seine Unternehmungen zwielichtiger geworden, und Ehrlichkeit hatte ihre Bedeutung verloren. Er fand hübsche Sachen fast unwiderstehlich, so sehr, daß er oft nicht anders konnte, als sie an sich zu nehmen, und das Glück blieb ihm hold, doch Polizisten und die meisten anderen, denen er begegnete, fürchtete er. Dinge zu entwenden war nicht selbstverständlich, nicht natürlich, doch unum-gänglich, um Zutritt zum
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