Im Kinderzimmer
gesehen.« Mrs. Harrison hatte sich als erste wieder gefangen. »Was zum Teufel…?« verlangte sie nun von Harrison, ihre ganze Körperhaltung ein einziges, drohendes Fragezeichen, ehe ihr das Grüppchen hinter ihr wieder einfiel. »Aber kommen Sie doch erst einmal herein, Mrs. Allendale. Ich setze gleich Wasser auf. Was für eine Aufregung, also ehrlich!« Sie pflanzte sich vorwurfsvoll vor ihrem Mann auf. »Und du? Hast du selbst jemanden zum Tee gebeten, du alter Hornochse?«
»Nein«, murmelte Harrison. »War dabei, die Treppe zu putzen. Als ich unten Wasser holen wollte, fand ich den Kerl im Flur. Hat behauptet, er sucht Arbeit. Von wegen.«
»Daß ich nicht lache«, bemerkte Mrs. Harrison etwas milder.
»Weiter ist er nicht gekommen?«
»Nicht, daß ich wüßte.« Harrison wählte seine Worte mit Bedacht.
»Ich war ja nicht lang weg. Aber kommt doch rein, Herrgottnochmal.
Tag, Mrs. Allendale. Sie sind aber früh dran, heute.«
Katherine zögerte auf den Stufen, blickte die Straße hinunter, verfolgt noch von den braunen, gehetzten Augen des armen, fliehenden, stolpernden Mannes, den auch sie schon zuvor gesehen hatte. Während sie alle miteinander im Haus die Stufen ins Souterrain hinunter-stiegen – denn es war nicht so, daß um Katherines willen die Porzel-lantassen aus dem Salon oder die aus der Küche ihrer Arbeitgeberin hervorgeholt worden wären –, gab Mrs. Harrison munter plappernd Erklärungen nach rückwärts über die Schulter ab, die im Getrappel der Füße, die sich alle in unterschiedlichem Tempo die Stufen hinab-bewegten, halb untergingen. »Diese Penner! Saufbrüder!« zischelte sie, als wollte sie die Worte vor den Kindern nicht laut aussprechen.
»Pack. Mag ja sei, daß es mal anständige Leut’ mit Arbeit waren, aber dann fangen sie an zu saufen, verstehen Sie, harte Sachen. Dann schmeißen ihre Familien sie raus, was Wunder, und wo sollen sie dann noch hin? Nirgends. Man liest es in den Zeitungen, und hier treiben sich immer ein, zwei von den Brüdern herum. Widerlich.«
»Der arme, arme Mann!« flüsterte Katherine, ganz benommen vom Ausdruck der nackten Angst im Gesicht des Fliehenden. Alle hatten sie diesen ganz bestimmten, feindseligen und jämmerlichen Ge-178
sichtsausdruck, die Obdachlosen, sie hatte ihn mehrfach gesehen, spürte das Leid unter der Oberfläche. Ihre Vergangenheit in verschiedenen Heimen hatte sie in Tuchfühlung mit diesem Ausdruck gebracht, der an den Zähnen klebte, sei’s bei Kindern, sei’s bei Erwachsenen, dieser grimmige, fast bösartige Ausdruck. Mrs. Harrison wollte die dahinter liegende Verzweiflung offenbar nicht sehen.
»Von wegen arm! Drückeberger sind es, arbeitsscheu sind sie!«
»Sie können nicht arbeiten. Er wird nicht wissen, wo er hin soll.«
»Mir sah der eher nach Kriminellem aus. Langfinger, vermutlich.«
Katherine hatte keine Lust, auf ihrem Standpunkt zu beharren.
Beim Anblick des Obdachlosen hatte sie sich schlicht verkriechen wollen, sein Anblick ging zu sehr an die Nieren, doch vergaß sie ihn vorübergehend, als sie im vollgepropften Souterrain angelangt war, zum dritten Mal überhaupt erst – selten gewährte Gunst dieser Gastgeber, die ihre Domäne eifersüchtig und voller Stolz bewachten.
Sehnsuchtsvoll schielte sie nach dem alten, verbeulten Herd, dem Bord darüber, das beladen war mit unsäglichen Humpen aus Ur-laubsorten, deren Namen sie in dicken schwarzen Lettern verkündeten, nach den von Topfpflanzen verstellten Fenstern, die die Wohnung noch düsterer machten, als sie es schon war. In dieser wohligen Höhle wurde starker, brackiger Tee aus einem Pott vom Stövchen ausgeschenkt und fraglos Zucker eingerührt. »Muß so stark sein, daß der Löffel drin steht, wenn’s nach Harrison geht«, lachte Mrs. Harrison ungezwungen, Herrin im eigenen Haus. Mark war nach oben verschwunden, Jeanetta in den Garten. Samantha blieb bei ihnen, einen flauschigen Elefanten von schmerzhaft schriller Farbe im Arm, und starrte die Nachbarin an, als käme sie von einem anderen Stern.
Der alte Labrador scharwenzelte um Jeremy herum, der in einem fort nieste.
»Schade, daß er allergisch ist gegen das Tier«, meinte Mrs. Harrison unbekümmert. »Dabei liebt er Patsy heiß und innig. Noch Tee?«
»Ja, gern.«
Schweigen machte sich jetzt im Raum breit. Mr. Harrison hatte sich in einen Sessel gesetzt, da er wie seine Frau der Ansicht war, dieser Besucherin müsse nicht übertriebener Respekt bezeugt werden, nicht, wenn sie auf dem
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