Im Koenigreich der Traeume
geschafft, hier heraufzuklettern?«
»Was meint Ihr?« fragte Royce zurück. Er schaute wieder auf den Strick und hielt einen Augenblick seine Hände ruhig. Seine Schultern waren angespannt, und der Unterkörper war gegen die Wand gestemmt. Nach einer Weile ließ er wieder Hand über Hand das Seil nach.
»Vielleicht kam einer Eurer Männer unter irgendeinem Vorwand während des Festmahls hier herauf und hat den Strick an dem Absatz vor dem Fenster befestigt und das andere Ende hinuntergeworfen.«
Royce bestätigte ihr, daß sie die richtigen Schlüsse gezogen hatte, und verneigte sich spöttisch vor ihr. Doch bei ihren nächsten Worten zuckte er wieder zusammen - diesmal vor Schreck.
»Wenn ich genauer darüber nachdenke, kann ich nicht glauben, daß Ihr Brenna in Eurer Gewalt habt.«
Royce, der Jennifer tatsächlich in diesem Punkt angeschwindelt hatte, mußte sich dringend etwas ausdenken, wie er die alte Lady am besten zum Schweigen brachte. »Was bringt Euch auf diesen Gedanken?« fragte er, um Zeit zu gewinnen. Dabei ließ er immer mehr von dem Seil nach.
»Zum ersten hat mein Neffe Wachen am Fuß der Treppe aufgestellt. Schon als ich mich heute abend ziemlich früh zurückgezogen habe, standen die Männer auf ihren Posten -ich vermute stark, er wollte durch diese Maßnahme einen Vorfall wie diesen verhindern. Um meine Nichte Brenna zu entführen, hättet Ihr also diese Mauer heute abend schon einmal heraufklettern müssen, und das hätte Euch unnütze Mühen und Strapazen bereitet, da Ihr Brenna ohnehin nur dazu benutzen wolltet, um Jennifer ohne Protest und Geschrei aus dem Haus zu schaffen.«
Diese Überlegungen waren so präzise, daß Royce seine geringe Meinung über die weißhaarige, alte Dame erheblich revidierte.
»Andererseits«, gab er gelassen zu bedenken, während er zu schätzen versuchte, wie weit Jennifer noch vom Boden entfernt sein mochte, »wißt Ihr nicht, ob ich nicht doch ein umsichtiger Mann bin.«
»Das stimmt natürlich«, gestand sie ein.
Royce atmete erleichtert auf, aber gleich darauf traf ihn der nächste Schlag, als Tante Elinor hinzufügte: »Aber ich denke, Ihr habt Brenna nicht. Deshalb möchte ich einen Handel mit Euch abschließen.«
Seine Augenbrauen zuckten in die Höhe. »Was für einen Handel?«
»Als Gegenleistung dafür, daß ich jetzt nicht die Wachen alarmiere, werdet ihr mich auch aus dem Fenster abseilen und mitnehmen.«
Wenn sie ihn eingeladen hätte, das Bett mit ihr zu teilen, hätte Royce nicht verblüffter sein können. Mit Mühe wahrte er Haltung und musterte ihre magere, zerbrechliche Gestalt und wägte die Gefahren ab, die ihnen beiden drohen könnten, wenn er zusammen mit ihr hinunterkletterte. »Das kommt nicht in Frage«, versetzte er.
»In diesem Fall«, begann sie und drehte sich mit ausgestreckter Hand zur Tür um, »laßt Ihr mir keine Wahl, junger Mann ...«
Royce unterdrückte einen Fluch und beschäftigte sich weiter mit dem Seil. »Warum wollt Ihr mit uns weg?«
Ihre Stimme verlor den gebieterischen Ton, und sie ließ die Schultern sinken. »Weil mein Neffe vorhat, mich morgen wieder in die Einsamkeit zu schicken, und schon allein den Gedanken daran kann ich kaum ertragen. Wie auch immer«, setzte sie ein wenig verschlagen hinzu, »es wäre nur zu Eurem Besten, wenn Ihr mich mitnehmt.«
»Wieso?«
»Weil meine Nichte, wie Ihr selbst sehr wohl wißt, ziemlich widerspenstig sein kann, aber wenn ich dabei bin, wird sie tun, was ich sage.«
Ein schwacher Schimmer von Interesse glomm in Royces Augen auf, als er an die lange Reise dachte und an die Notwendigkeit, schnell voranzukommen. Ob sein Plan Erfolg haben oder fehlschlagen würde, hing entscheidend davon ab, daß Jennifer gefügig war. Dennoch - wenn er an Jennifers Dickkopf, den Einfallsreichtum und ihre Aufsässigkeit dachte, fiel es ihm schwer zu glauben, daß diese rothaarige Teufelin ausgerechnet ihrer Tante brav und fromm folgen sollte. Selbst jetzt noch spürte er den Abdruck ihrer Zähne in seiner blutigen Handfläche. »Ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, daß sie sich in ein Lämmchen verwandelt, wenn Ihr in ihrer Nähe seid.«
Die Frau hob den weißen Kopf und betrachtete ihn hochmütig. »Mag sein, daß Ihr das glaubt, Engländer. Aber gerade deshalb hatte ihr Vater ursprünglich vor, mich morgen mit Euch reisen zu lassen.«
Royce wägte die Vorteile gegen die Schwierigkeiten ab, die die alte Lady eventuell bei dem Ritt verursachte. Sie würde das ganze
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